Zankapfel im Suchverfahren
Es ist zu viel Porzellan zerschlagen worden, es hat zu viele Lügen, zu viel Gewalt gegeben, zu viel Vertrauen wurde zerstört. Gorleben ist als Endlager für radioaktive Abfälle geologisch ungeeignet - diese Erkenntnis hätte man schon vor 30 Jahren haben können, sie hat sich aber inzwischen noch bekräftigt.
Wir wissen durch die Recherchen der Bürgerinitiative und durch den Untersuchungsausschuss, dass Gorleben das Ergebnis politischen Willens ist, nicht eines sachgerechten Auswahlverfahrens, nicht eines Standortvergleichs, nicht eines unabhängigen Untersuchungsprozesses. Gorleben steht symbolisch für die Fehler der vergangenen 35 Jahre, die dominiert waren von dem politischen Willen, die Atomkraft zu fördern und gegen den Willen der Bürger durchzusetzen. Denn wir wissen, dass Gorleben sogar aufgrund der eignen geologischen Kriterien der Bundesregierung längst (spätestens 1995) hätte aufgegeben werden müssen. Dass dies nicht getan wurde, war eine politische Entscheidung, um die Atompolitik unbeirrt fortsetzen zu können.
Gorleben diente nämlich über Jahrzehnte als staatlicher Entsorgungsvorsorgenachweis. Diese Phrase des Atomgesetzes meint, dass Atomkraftwerksbetreiber nachweisen müssen, dass sie ihren Müll entsorgen können. Dazu reicht ihnen der Verweis auf den Staat, der ein Endlager sucht oder baut. Tut der Staat das aber nicht, gibt es diesen Nachweis nicht. Und ohne diesen Nachweis, gibt es keine Genehmigungen für Atomkraftwerke. Ohne Gorleben als staatliches Alibi-Entsorgungsprojekt hätten alle Atomkraftwerke ihre Lizenz verlieren müssen.
Um so dreister sind die Forderungen der Energiekonzerne, an Gorleben wegen der bereits von ihnen verbauten 1,6 Milliarden Euro festzuhalten. Rechnet man den Profit von einer Million Euro täglich, den ein laufendes Atomkraftwerk seinem Betreiber bringt, über die Jahrzehnte dagegen, ist die Investition der 1,6 Milliarden Euro in einen Endlagerversuch ein Griff in die Portokasse. Vor allem, wenn man weiß, dass dieselben Energiekonzerne mittlerweile Eigentümer jener Firma sind, die in Gorleben seit Jahren baut und staatlich garantierte Rendite über dieses ehemals staatliche Unternehmen erhält. Den massiven Interessen, insbesondere von Seiten der Industrie, an Gorleben festzuhalten, darf in einem neuen Suchverfahren keine Chance gegeben werden.
Was wir nun von Seiten der Grünen hören, ist der Wille, Endlagerkriterien für die zukünftige Suche so zu formulieren, dass Gorleben automatisch herausfallen müsste. Wie absurd und grundfalsch das ist, ist ihnen wahrscheinlich gar nicht klar. Wer so redet, passt die Endlager-Kriterien an Standorte und nicht an wissenschaftliche Erkenntnisse an. Das war einer der wesentlichen Ursachen, mit denen Vertrauen verspielt wurde und mit denen die Menschen massenhaft in den Protest getrieben worden sind. Ein Verfahren wird doch nicht dadurch besser, nur weil es die vermeintlich andere Seite jetzt mit denselben Mitteln führen will.
Es gehört zu einem Neuanfang dazu, Fehler einzugestehen. Dazu ist die CDU/CSU-FDP-Koalition bislang nicht bereit, wie ihren Schlussfolgerungen aus dem Untersuchungsausschuss zu entnehmen ist. Sie sieht keinerlei Verfehlungen in Gorleben und setzt die Lügen der Vergangenheit fort. Dies muss zu der Vermutung Anlass geben, dass die Koalition alles wieder so machen würde wie bisher. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) kann dies nicht gefallen, aber noch ist nicht ausgemacht, wer sich hier in der konservativen Fraktion durchsetzt.
An Gorleben erhitzen sich die Gemüter seit 35 Jahren. Einen solchen Zankapfel im Verfahren zu belassen, ist keine Gesprächsgrundlage. Der Untersuchungsausschuss Gorleben hat gezeigt: Koalition und Opposition sind über die Frage Gorleben derart uneinig, dass allein dieser Streitpunkt ein neues Gespräch grundsätzlich bestimmen würde. Der Kampf um Gorleben würde sich fortsetzen. Es ist ein Akt der Vernunft, Gorleben aus dem Verfahren zu nehmen, um die Voraussetzung für einen neuen Aufbau von Vertrauen zu schaffen.
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