Andalusien enteignet Banken

Regionalregierung kann laut neuem Gesetz Wohnungen vor einer Zwangsräumung übernehmen

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 3 Min.
Die südspanische Region Andalusien will die Zwangsräumungen durch Banken und den massiven Leerstand von Wohnungen begrenzen.

Der Süden Spaniens ist besonders von dem Problem betroffen, dass immer mehr Familien obdachlos werden, weil sie ihre Hypotheken wegen Arbeitslosigkeit nicht mehr bezahlen können. Seit Ausbruch der Krise 2007 kam es allein in Andalusien zu knapp 90 000 Räumungen, zuletzt waren es im Schnitt 50 pro Tag. »Bis hier und nicht weiter!«, sagt nun die andalusische Wohnungsbauministerin Elena Cortés. Das Regionalparlament beschloss am Mittwoch im Eilverfahren ein Dekret, das auch »temporäre Enteignungen« zulässt. Die Regionalregierung aus Sozialisten und der Vereinten Linken, der Cortés angehört, will nicht länger zusehen, dass immer mehr Familien auf Antrag von oft mit Steuermilliarden geretteten Banken oder Sparkassen aus ihren Wohnungen geworfen werden. Andalusien ist besonders hart von der extrem gestiegenen Arbeitslosigkeit in Spanien und damit auch von Räumungen betroffen. Im Durchschnitt sind fast 34 Prozent der Bevölkerung arbeitslos, in einigen Provinzen wie Jaén oder Granada sogar fast 40 Prozent.

Die Politik treibt das Problem um, dass zwischen 700 000 und eine Million Eigentumswohnungen in Andalusien derzeit leerstehen und sich gleichzeitig kaum Mietwohnungen finden lassen. Nun sollen auch Banken und Immobilienfirmen mit bis zu 9000 Euro bestraft werden, wenn sie zwangsgeräumte Wohnungen nicht vermieten. Ministerin Cortés kündigte auch an, dass binnen eines Monats ein Gesetz verabschiedet werde, um den Druck durch die Einleitung von Strafmaßnahmen zu erhöhen.

Das beschlossene Gesetz ermöglicht in besonderen Fällen eine »temporäre Enteignung« von Kreditinstituten für höchstens drei Jahre. Die Regionalregierung kann die Immobilien von Familien übernehmen, die nur diesen Wohnsitz haben, nach der Kreditvergabe unverschuldet verarmt sind (etwa durch Arbeitslosigkeit) und deren Gesamteinkommen 1596 Euro nicht übersteigt. Betroffene müssen dann 25 Prozent des verfügbaren Einkommens als »Sozialmiete« bezahlen. Vorrausetzung ist ferner, dass die Räumung unmittelbar bevorsteht. Ein weiteres Kriterium sind »physische und psychische Gesundheitsgefahren«, womit auf dramatische Szenen bei Räumungen angespielt wird. Immer wieder stürzen sich Menschen aus dem Fenster, werden erhängt aufgefunden oder verbrennen sich, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sehen.

»Wir verteidigen in Andalusien das Menschenrecht auf Wohnraum«, sagt Cortés. Die Ministerin sieht sich in ihrem Vorgehen auch vom Europäischen Gerichtshof bestärkt. Dessen Richter hatten Mitte März die Räumungspraxis in Spanien in einem Urteil als illegal eingestuft. Mehr als 100 Jahre alte Hypothekengesetze hebelten EU-Verbraucherrechte aus. Es sei für Betroffene »praktisch unmöglich«, eine Räumung auf dem Rechtsweg zu stoppen, auch wenn ihre Kreditverträge offensichtlich missbräuchliche Klauseln enthielten.

Trotzdem hat die spanische Zentralregierung bisher kein Räumungsmoratorium verfügt und will nun sogar gegen den Vorstoß in Andalusien vor das Verfassungsgericht ziehen. »Wir haben das Gesetz so wasserdicht gemacht, dass jeder Versuch zwecklos ist«, ist dagegen Cortés überzeugt.


Lexikon

Als Hypothek bezeichnet man im Finanzbereich die Belastung eines Grundstücks, Gebäudes oder einer Wohnung mit einer Geldforderung durch einen Gläubiger (oft eine Bank). Die Immobilie ist das Pfand für ein an den Besitzer vergebenenes Hypothekendarlehen. Mit diesem wird oft der Kauf der Immobilie oder aber von anderen Gütern finanziert. Die Hypothek wird im Grundbuch eingetragen. nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!