Gar keine Ahnung

Der ehemalige Gerolsteiner-Teamchef Holczer bestreitet vor Gericht jegliche Doping-Mitwisserschaft

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Der frühere Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer wies bei seiner Befragung im Betrugsprozess gegen Stefan Schumacher die Vorwürfe seines früheren Fahrers entschieden zurück.

Nein, dies ist keine Tour de France. Vor dem Saal 6 des Verwaltungsgerichts Stuttgart drängen sich zwar zwei Dutzend Journalisten, die auf den Radprofi Stefan Schumacher und seinen früheren Rennstallchef Hans-Michael Holczer warten. Aber dieses Rendezvous ist nicht in den Kontext von Bergetappen und Siegerzeremonien eingebettet. Unmittelbar vor dem Fall Schumacher wurde im Saal 6 ein versuchter Totschlag verhandelt. Der Betrug, der Schumacher vorgeworfen wird, wirkt da nur wie ein kleines Delikt. Er ist angeklagt, seinen damaligen Arbeitgeber Holczer über Dopingpraktiken getäuscht und sich vertragswidrig drei Monatsgehälter in Höhe von insgesamt 151 463,50 Euro erschlichen zu haben.

Schumacher, in brauner Strickjacke erschienen und gefasst Bekannte im Gerichtssaal grüßend, bemühte sich zu Beginn des zweiten Verhandlungstages, das Wissen von Rennstallmitarbeitern von Gerolsteiner um seine Dopingpraktiken zu illustrieren. »Christian Henn fragte mich am Rande der Deutschen Meisterschaften 2006 explizit nach der Dosierung von Synacthen«, belastete Schumacher einen der sportlichen Leiter. Auch Holczer habe ihn auf Synacthen-Konsum angesprochen, weil er vermutete, dass eine zu hohe Dosierung Ursache für eine schlechte Leistung gewesen sei. »Er hat mich gefragt: Hast du zuviel geblasen?«, sagte Schumacher über Holczer.

Auch bei Gesprächen über die Einnahme des Blutdopingmittels CERA ging es laut Schumacher nur um Fragen der Dosierung und der damit verbundenen Nachweisgefahr. »Er fragte mich: ›Kommt da was?‹ Ich sagte ihm, er solle sich keine Sorgen machen. Ich werde nicht positiv«, rekapitulierte Schumacher einen Dialog aus dem Jahre 2008. Er erläuterte dann dem Gericht, dass er wegen einer geringen Dosierung relativ sicher sein konnte, nicht erwischt zu werden. Mit diesen Hinweisen habe er damals Holczer beruhigt, meinte Schumacher - ein Schlüsselmoment seiner Verteidigung: Wenn Holczer über Schumachers Dopingpraktiken gewusst habe, hätte er durch einen dopenden Athleten auch nicht betrogen werden können.

Holczer wurde eine Stunde später als geplant in den Gerichtssaal gebeten. Er wies Schumachers Aussagen als »Lügen« zurück. Er interpretierte die Synacthen-Episode als Versuch, den Sportlern zu signalisieren, dass man auf sie schaue. »Ich habe doch gar keine Ahnung davon, wie man solche Medikamente einsetzt«, lautete seine Schutzbehauptung, die mildes Gelächter im Zuschauerraum auslöste. Von dem EPO-Präparat CERA wolle er erst während der Tour de France 2008 erfahren haben. »Wenn Schumacher mir damals explizit von CERA und dessen Nachweisbarkeit erzählt hätte, hätte ich sofort reagiert«, meinte er. Bei Gericht stieß der frühere Rennstallbesitzer damit auf positive Resonanz.

Im Verlauf der Verhandlung kam außerdem noch heraus, dass Staatsanwalt Holzwarth eine Aussage des früheren Gerolsteiner-Profis Bernhard Kohl aus Österreich über die Abgabe des Dopingmittels IGF-1 durch einen Gerolsteiner-Arzt an mehrere Teamkollegen nicht weiter verfolgt hat.

Der Prozess balanciert am Rande der Lächerlichkeit.

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