Gleiche unter Gleichen
Wie Gated Communities ein Leben im Vakuum kreieren
»Das gibt’s hier nicht, dass dir jemand dein Auto zerkratzt, ohne dass es ein anderer mitbekommt«, ist sich der junge Mann sicher, der gerade die letzte Umzugskiste in seine neue Wohnung im Erdgeschoss trägt. In Neu-Hohenschönhausen, wo er vorher mit seiner Freundin gewohnt hat, da sei so etwas öfter vorgekommen. Hier aber, mitten im Wald, fünf Kilometer vom S-Bahnhof Berlin-Buch entfernt, am Ende einer schier endlos langen Straße, hinter dem gusseisernen Tor, unter den Linden und Ahornbäumen - hier leben keine Menschen, die Autos zerkratzen. Der Eingang zur Wohnanlage »Allées des Châteaux« ist nicht abgeschlossen, durch eine kleine Tür kommt jeder, der will, auf das Areal, das von 148 000 Quadratmetern dichtem Laubwald umgeben ist. »Und selbst wenn es abgeschlossen wäre, würde mich das auch nicht stören«, sagt der Mann.
Im Herbst 2007 kaufte die UKB Denkmal AG das Gelände des ehemaligen »Hospital Buch-West« und sanierte die zehn Gebäude der früheren Pflegeanstalt für Lungen- und Kehlkopfkranke. Insgesamt entstanden 120 »Premiumwohnungen«, die wahlweise mit Eichenstabparkett, Terrasse oder offenem Kamin ausgestattet sind. Zu dem Gelände gehören bereits ein Kindergarten und eine Sauna. Sportanlagen und Open-Air-Festplatz sollen entstehen, auch ein Shuttleservice zum S-Bahnhof ist geplant.
Das Unternehmen macht keinen Hehl daraus, wen es sich als potenziellen Kundenkreis vorstellt: Familien, Ärzte und Wissenschaftler aus dem Umfeld des Klinikums Buch, wie es auf der Internetseite heißt. Rund 2500 Euro pro Quadratmeter kostet hier ein Stück Eigenheim. Das ist ein relativ bescheidenes Häppchen Exklusivität im Vergleich zu ähnlich konzipierten Wohnkomplexen wie die Potsdamer »Arkadien«, die als erste deutsche »Gated Community« bekannt wurde und wo Preise jenseits der 5000 Euro gelten - ganz zu schweigen von den bis zu 14 000 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung im Marco-Polo-Tower in der Hamburger »Hafencity«. Auch »Allées des Châteaux« ist eine dieser abgeschotteten Wohnsiedlungen, die »dem wachsenden Sicherheitsbedürfnis der Bewohner Rechnung tragen«, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt. Allerdings gibt es hier, im Gegensatz zu Vorbildern aus den USA, keinen Wach- und Schließdienst.
»Sicherheit, Investment und Infrastruktur« sind für Lukas Schmid die Hauptgründe, warum Menschen in Gated Communities leben. Mit der Filmemacherin Corinna Wichmann drehte er im Ausland die Doku »Auf der sicheren Seite«, als in Potsdam gerade erst der Grundstein für die »Arkadien« gelegt wurde. Was genau unter einer Gated Community zu verstehen ist, kann er nicht beantworten. Das variiere von Land zu Land. Mal gehören Stacheldraht, unüberwindbare Mauern und eine permanente Videoüberwachung zum Standard, mal nur hüfthohe Zäune. »Bauliche Maßnahmen für die Mauern, die im Kopf existieren«, sind es für den Dokumentarfilmer immer. Doch Gated Communities bieten nicht nur Sicherheit, sie sind auch gefährlich. Etwa wenn Polizei und Krankenwagen kilometerlange Umwege fahren müssen, weil ein Großteil der Straßen zu Privatsiedlungen gehört. Oder wenn sie die Grundversorgung mit Strom und Wasser übernehmen - und ihre Bewohner deshalb nicht nur Steuern, sondern das gesellschaftliche Zusammenleben an sich infrage stellen. Schmid hat beides bei seinen Recherchen in Amerika, Südafrika und Indien erlebt.
»Im Vergleich zu den dramatischen Zuspitzungen in anderen Ländern sind in Deutschland sozialräumliche Polarisierungsprozesse noch nicht besonders ausgeprägt«, sagt Tilman Harlander, emeritierter Professor für Architektur und Wohnsoziologie an der Uni Stuttgart. Allerdings wachse hierzulande das Verlangen danach, weitgehende Kontrolle über das eigene Wohnumfeld zu haben, Gleicher unter Gleichen zu sein.
Gated Communities wie die »Allées des Châteaux« sind Ausdruck einer zunehmenden Flucht jener, die sich in ihren einstigen Quartieren nicht mehr wohlfühlen. Entweder, weil sie von zerkratzten Autos genervt sind, oder weil sie sich von der sie umgebenden, bisher nie wahrgenommenen Vielfalt in ihrem Lebensentwurf eingeschränkt fühlen. Sie igeln sich in abgeschirmten Wohnbereichen ein. »An diesem Punkt ist ein durchdachtes Stadtplanungskonzept unersetzlich, das für die städtebauliche Integration solcher Projekte sorgt«, findet Harlander. Die Lenbachgärten in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs sind so ein Beispiel. Dort baute das Unternehmen Frankonia, einer der Marktführer im Bereich »Premiumwohnen«, vor sechs Jahren hochpreisige Luxusappartements. Zur Münchner Politik gehörte aber auch, dass neben den Edelbehausungen über 40 öffentlich geförderte Wohnungen entstanden. Die Spannweite reicht von Mieten unter zehn Euro pro Quadratmeter bis zum mondänen Domizil für einen Millionenpreis.
Von Abschottung will man in den »Prenzlauer Gärten« am Volkspark Friedrichshain in Berlin nichts hören. Die »Town-House«-Siedlung ist glänzend weiß gestrichen und von einem mannhohen Zaun umgeben, jeder Hausaufgang gleicht dem nebenan. Auf der kleinen Grünfläche in der Mitte der Anlage tollen massenhaft Kinder herum. »Wir wollen einfach nur, dass man uns nicht ständig alles zuparkt«, beschwert sich ein adrett gekleideter Mittdreißiger auf die Frage, warum er gerade hier wohnt und ob das mit dem Zaun auf ihn nicht albern wirke, so mitten in der Stadt. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, dafür aber endlich mal eine faire Darstellung von Wohnkomplexen wie diesem. Er und seine Frau seien vor allem hierher gezogen, weil die meisten in der Anlage auch Kinder hätten, sogar im selben Alter, das habe er schon bei den Besichtigungsterminen gesehen. Nie hat er Angst, den Nachwuchs auf der Straße spielen zu lassen. Und von der Gentrifizierungsdebatte hat er sowieso die Nase voll: »Keiner hat hier irgendwem Wohnraum weggenommen, das war doch vorher eine einzige Müllhalde.« Einige hier haben sich, so erzählt er, ihren Wohntraum in Weiß viel kosten lassen. »Die drehen heute noch jeden Cent zweimal um.«
Auch Peter Hanstein wohnt in einer Stadthaussiedlung. Seit knapp zwei Jahren besitzt er eine Eigentumswohnung im Marthashof - einem Projekt, das kurz nach den »Prenzlauer Gärten« im selben Berliner Bezirk entstand. »Ich besuchte dort einen Freund, und da wusste ich: So willst du auch leben«, erzählt der Enddreißiger mit den grau melierten Schläfen. Begeistert beschreibt er seine Nachbarn: ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, ein Schauspieler, eine erfolgreiche Jungunternehmerin. Die Menschen und ihre Biografien machen die Wohnanlage für ihn attraktiv. Er fühlt sich wohl in Prenzlauer Berg. »Wir tragen beide Welten in uns«, sagt Hanstein. Die Marthashofer wollen gehobenen Standard, aber auch Anbindung an die alternative Szene im Viertel; ein Eigenheim, aber ohne an den Stadtrand zu ziehen. Der »echte« Luxus sei jedenfalls woanders zu finden, nicht hier, sagt Hanstein.
Anders als viele seiner Nachbarn blendet Hanstein seine Rolle im Gentrifizierungswirbel nicht aus, auch wenn seine Beschreibungen davon oft ambivalent sind. Der Geologe hat für die Käufer des Marthashof eine Webseite und eine Initiative aufgebaut - auch eine Antwort auf den Protest, den Alteingesessene gegen den Bau der Edel-Wohnungen erhoben. Auch die sind organisiert. Hanstein trifft ab und zu Silvia Kollitz von der Anliegerinitiative, um über die Entwicklungen im Kiez zu sprechen. Anders als er bezeichnet sie den Marthashof sehr wohl als Gated Community. »Das ist eine Festung mit einer brutalen Architektur«, ärgert sich Kollitz über die braunen Fassaden hin zur öffentlichen Straße. Sie lassen sich vollständig schließen, wirken wie fensterlose Bollwerke gegen die Außenwelt.
Der bis heute andauernde Nachbarschaftsstreit dreht sich aber um das, was dahinter liegt: einen Park, eingeschlossen von den weißen Stadthäusern des Marthashof. Dessen öffentliche Nutzung war Bedingung des Bezirks für die Baugenehmigung - das Eingangstor sei aber meistens geschlossen, beschweren sich die Anlieger. Kollitz fühlt sich allein gelassen von Bezirk und Bauherr, der Firma Stofanel. Zwar brüstet sich die mit der »Verwirklichung von Träumen« in einem »Urban Village«. »Sie haben uns ihre Mission für Berlin einfach übergestülpt«, relativiert Kollitz jedoch die Marketingfloskeln, wie sie die Initiatoren solcher Projekte oft benutzen. »Die Strippen ziehen Politik und Investoren gemeinsam«, meint sie. »Sie schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu - aber im Endeffekt arbeiten sie wunderbar zusammen.«
»Sozialpolitisch brisanter als einzelne Luxuswohnprojekte sind die folgende Anhebung der Bestandsmieten und die damit ausgelöste Verdrängung einkommensschwächerer Gruppen«, wertet Soziologe Tilman Harlander. Auch wenn in Deutschland komplett abgeschottete Prunksiedlungen bisher die Ausnahme sind: Hanstein gehört zu einer gut situierten Mittelschicht, die sich vom Rest der Gesellschaft abzugrenzen versucht. Was nicht zum eigenen Weltbild passt, gehört besser auf die andere Seite des Zauns.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.