Der Arzt als Detektiv

Vor 100 Jahren entdeckte der österreichische Pathologe Karl Landsteiner die Blutgruppen

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Dass eine Blutübertragung von Mensch zu Mensch mitunter tödlich enden kann, war den Ärzten bereits im 19. Jahrhundert geläufig. Hingegen wusste niemand, warum das so ist. Erst vor 100 Jahren kam der österreichische Pathologe Karl Landsteiner hinter das Geheimnis der Unverträglichkeit des Blutes. Am 14. November 1901 schrieb er in der »Wiener Klinischen Wochenschrift«: »Vor einiger Zeit habe ich beobachtet und mitgetheilt, dass öfters Blutserum von normalen Menschen rothe Blutkörperchen anderer gesunder Individuen zu verklumpen im Stande ist.« Als Ursache vermutete er spezielle physiologische Eigenschaften des Blutes, so genannte Blutgruppen, von denen er seinerzeit drei entdeckte (A, B, 0). Später kam noch die Gruppe AB hinzu. Landsteiner wurde am 14. Juni 1868 in Wien geboren, wo er später auch Medizin studierte. Er unternahm ausgedehnte Studienreisen nach Deutschland und in die Schweiz und lehrte zwischen 1909 und 1919 als ordentlicher Professor für Pathologie an der Universität Wien. 1922 ging er ans Rockefeller Institute for Medical Research nach New York. Für die Entdeckung der Blutgruppen erhielt er 1930 den Nobelpreis für Medizin. Am 26. Juni 1943 starb Landsteiner in New York an den Folgen eines Herzinfarkts. Obwohl heute zahlreiche Blutgruppensysteme bekannt sind, gilt das von ihm entdeckte AB0-System noch immer als das wichtigste. Unterschieden werden die vier Hauptgruppen A, B, 0 und AB nach dem Antigen, das sich jeweils auf der Membran der roten Blutkörperchen befindet, sowie den Antikörpern, die im Blutplasma zirkulieren. Es sei hier kurz angemerkt, dass der Begriff »Antigen« lediglich eine artfremde Eiweißverbindung bezeichnet, die den Organismus zur Bildung von Antikörpern gegen diese Substanz veranlasst (Antigen-Antikörper-Reaktion). So enthält das Blut der Gruppe A Antikörper gegen die Antigene der Gruppe B und umgekehrt. AB-Blut bildet gar keine Antikörper, da dessen rote Blutkörperchen sowohl A- als auch B-Antigene besitzen. Das heißt: Die Träger dieser Gruppe können Blut von Menschen aller anderen Gruppen empfangen, aber diesen keines spenden. Sie sind gewissermaßen Universalempfänger. Im Gegensatz zu den Trägern der Gruppe 0, den so genannten Universalspendern, deren rote Blutkörperchen weder A- noch B-Antigene besitzen, gegen die Antikörper gebildet werden könnten. Selbst dürfen diese Menschen jedoch nur das Blut ihrer eigenen Gruppe empfangen. In Mitteleuropa kommt die Blutgruppe A mit 42 Prozent derzeit am häufigsten vor, gefolgt von Gruppe 0 mit 38 Prozent, B mit 13 Prozent und AB mit 7 Prozent. Vor jeder Blutübertragung wird daher vorsorglich eine so genannte Kreuzprobe durchgeführt, bei der das Serum des Empfängerblutes und die roten Blutkörperchen des Spenderblutes miteinander vermischt werden. Ist keine Verklumpung (Agglutination) feststellbar, kann die Bluttransfusion beginnen. Bereits 1902 war es Landsteiner gelungen, auch angetrocknetes Blut nach Gruppen zu klassifizieren. Noch im selben Jahr hielten er und der Gerichtsmediziner Max Richter in Karlsbad einen Vortrag »Über die Verwertbarkeit individueller Blutdifferenzen für die forensische Praxis«. Darin regten sie die Bestimmung der Blutgruppe für den Fall an, dass »ein Täter Blutspuren, die sich an seiner Kleidung finden, als von seinem eigenen Blut herrührend erklären will«. Inzwischen haben Ärzte so viele Blutgruppensysteme entdeckt, dass sich daraus theoretisch mehr als 100 Billionen verschiedene Blutgruppenmuster ableiten lassen. Das heißt: Jeder Mensch verfügt über ein einzigartiges Blutgruppenprofil, an dem er eindeutig identifiziert werden kann. »Dennoch beruht die kriminalistische Spurensuche heute fast ausschließlich auf DNA-Analysen«, sagt der Berliner Rechtsmediziner Gunther Geserick. »DNA ist stabiler, beständiger und genetisch vielgestaltiger als die konventionellen Blutgruppen.« Anders beim Nachweis der Vaterschaft. Hier wird die Blutgruppenanalyse bis auf weiteres noch angewandt. In der Bundesrepublik kommen jährlich etwa 120000 nichteheliche Kinder zur Welt, und nicht selten muss die Frage, wer der Vater ist, vor Gericht entschieden werden. Da die Blutgruppen sich nach den Mendelschen Gesetzen vererben, genügt in etwa 18 Prozent der Fälle schon das AB0-System, um auszuschließen, dass ein Mann der Vater eines bestimmten Kindes ist. Ein Beispiel: Hat ein Kind die Blutgruppe 0 und ein Mann AB, kann dieser unmöglich der Vater des Kindes sein. Denn die Gruppe 0 ist ein rezessiv vererbbares Merkmal, so dass bei einem AB-Vater dessen Kinder entweder A, B oder AB haben müssten. Bezieht man indes mehrere Blutgruppensysteme in die Untersuchung ein, lässt sich auf Grund der Vielfalt der Blutgruppenmuster eine strittige Vaterschaft mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 99,9 Prozent aufklären. Neben dem AB0-System spielt vor allem das Rhesus-System in der Medizin eine große Rolle. Es wurde 1940 ebenfalls von Landsteiner und dessen Mitarbeiter Alexander S. Wiener entdeckt. Zu diesem System gehören mehrere Antigene, die so genannten Rhesus-Faktoren, von denen der Faktor D das stärkste antigene Potenzial besitzt. Je nach Vorhandensein von D wird das Blut als Rhesus-positiv oder Rhesus-negativ bezeichnet. Auch zwischen diesen beiden Blutsorten kommt es zu Unverträglichkeitsreaktionen, etwa wenn eine Frau während der Schwangerschaft Antikörper gegen den Rhesus-Faktor ihres Babys bildet. Lange galten die Blutgruppen als evolutionär neutral und sollten demnach nicht der natürlichen Selektion unterliegen. Doch wie man inzwischen aus zahlreichen Statistiken weiß, spielen sie zumindest bei der Abwehr von Viren und Bakterien eine wichtige Rolle, ohne dass die Forscher derzeit sagen könnten, warum das so ist. Beispiel Cholera. Mehrere Studien aus den 80er Jahren haben gezeigt, dass Menschen mit der Blutgruppe 0 für diese Krankheit besonders anfällig sind. Dafür spricht auch die Tatsache, dass in den Städten des Mittelmeerraumes, wo schon sehr früh die Cholera grassierte, diese Blutgruppe vergleichsweise wenig auftritt. Im Unterschied dazu sind die amerikanischen Ureinwohner in der Mehrzahl Träger der Gruppe 0. Vermutlich übte hier die Syphilis den entscheidenden Selektionsdruck aus. Denn gegen diese aus der Neuen Welt stammende Krankheit bietet 0 einen effektiveren Schutz als andere Blutgruppen. Aber auch bei Infektionskrankheiten wie Pocken, Tuberkulose, Malaria, Typhus oder Influenza sind die Risiken von Blutgruppe zu Blutgruppe verschieden. Die Grippe beispielsweise scheint besonders heftig bei AB-Trägern zuzuschlagen, die gegenüber allen Influenzaviren die schwächsten Antikörperreaktionen zeigen. Besser geschützt sind dagegen die Träger der Blutgruppen A und B. Sie erkranken seltener und wenn, dann nicht so schwer.

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