Erfolg schützt vor Strafe nicht
Die Links-Grüne Regierung hat Island aus der Krise geführt und steht dennoch vor der Abwahl
Bergur Elias Augustsson ist Bürgermeister der nordisländischen Gemeinde Nordurthing. »Wir hatten eine Krise schon lange vor der Krise«, sagt er. Der Hauptort der Gemeinde ist das Fischerhafenstädtchen Husavik. Von den Banken-Boomjahren habe die Gemeinde Nordurthing nämlich wenig mitbekommen. Abgesehen davon, dass die Abwanderung in die Hauptstadt Reykjavik noch zugenommen hatte, seufzt Augustsson. Doch nun soll es aufwärts gehen, vor allem mit touristischen Attraktionen wie Wal-Safaris. Die veranstaltet Arni Sigurbjarnarson. Doch dabei soll es nicht bleiben. In seinem Büro direkt am Hafen zeigt er Pläne für ein Erlebniszentrum und ein Spa-Bad mit heißem Wasser aus vulkanischen Quellen.
Sigurbjarnarson ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Isländer mit viel harter Arbeit die Wirtschaftskrise bewältigt haben. Regiert wurde ihr Land dabei von der Sozialdemokratin Johanna Sigurdardottir und ihrer Links-Grünen Koalition. Doch ausgerechnet sie soll nun bei den Parlamentswahlen abgestraft werden. Ein Grund dafür ist die teilweise EU-freundliche Politik, die im Volk nicht auf Wohlwollen stößt. Auch eine ideologische Versteifung wird Sigurdardottirs Regierung nachgesagt, trotz des geschickten Verhaltens in Krisenzeiten. Die 70-jährige Ministerpräsidentin kündigte schon geraumer Zeit an, sich nicht wieder zur Wahl zu stellen. Ihre Umfragewerte fielen im Laufe der Jahre immer weiter in den Keller. Inzwischen ist die Wählerschaft der Arbeiterpartei mit 12,2 Prozent auf mehr als die Hälfte gegenüber den Werten von Anfang 2009 geschrumpft.
So wird die erste Regierung Islands aus Sozialdemokraten und Links-Grüner Bewegung wohl an diesem Wochenende entmachtet und eine der Parteien, die die Insel 2008 in die Krise geführt hatten, wieder an die Macht kommen. Laut aktuellen Umfragen hat die liberale Fortschrittspartei unter Führung von Sigmundur David Gunnlaugssons die besten Chancen, die Mehrheit der 63 Sitze im Althing zu erringen. Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass die Partei die absolute Mehrheit erobern könnte - dies wäre ein historisches Ergebnis.
Mit einem solchen Wahlsieg würde die Fortschrittspartei der konservativen Selbstständigkeitspartei, traditionell die größte Partei Islands, eine empfindliche Niederlage beifügen. Die Fortschrittspartei profitiert davon, dass sie weniger als die Selbstständigkeitspartei mit der Finanzkrise verbunden wird. Zudem hatte sie eine kompromisslose Haltung gegen die ungeliebten Icesave-Abkommen zur Bankenrettung. Zusätzlichen Aufwind erhält die Partei, weil sie 40 000 Haus- und Wohnungsbesitzer bei der Tilgung von Schulden helfen will. Wie die Unabhängigkeitspartei ist die Fortschrittspartei gegen einen Beitritt Islands zur EU.
Vor fünf Jahren hatte die isländische Wirtschaft den Siedepunkt erreicht. Drei Banken, Kaupthing, Glitnir und Landsbanki, hatten mit ihren hohen Zinsen Tausende von Investoren angelockt. Die isländische Wirtschaft lief auf Hochtouren, ein Bauboom sondergleichen verwandelte die Hauptstadt Reykjavik in raschen Schritten. Tüchtig unterstützt von Politkern aller großen Parteien, war der isländische Bankensektor aufgeblasen. Mit der Bankenkrise in den USA fiel auch auf Island das Gebilde zusammen.
Am 6. Oktober 2008 hielt der damalige konservative Regierungschef Geir Haarde eine Rede und deutete einen möglichen Staatsbankrott an, der jedoch ausblieb. Haarde, der schon bald vom Volk praktisch aus dem Amt gejagt wurde, machte den ersten Schritt zur Krisenbewältigung, indem er in der selben Rede schon Garantien für private und kommerzielle Anleger versprach. In mehreren Volksabstimmungen lehnten die Isländer und Isländerinnen, unterstützt von ihrem Präsidenten Olafur Ragnar Grimsson, die Staatshaftung für die Kundeneinlagen der Internetbank Icesave ab. Im Januar dieses Jahres gab der Gerichtshof der Europäischen Freihandelszone (EFTA) Island Recht, es durfte so handeln.
Trotz dieser Maßnahmen schlitterte Island in eine tiefe wirtschaftliche Krise. Viele Isländer verloren ihre Ersparnisse. Im Februar 2009 übernahm Sigurdardottir als erste Frau Islands die Regierungsgeschäfte. Die neue linksgrüne Regierung wurde bei Wahlen im April 2009 im Amt bestätigt wurde. In der Folge kürzte sie Löhne und erhöhte die Steuern, was viele Isländer hart traf.
Dank der durch die Krise geschwächten isländischen Krone strömten aber viele Touristen auf die Nordatlantikinsel. In mancher Hinsicht hat der Tourismus Island wirtschaftlich gerettet, wie das Beispiel von Arni Sigurbjarnarsons Wal-Safaris ins Husavik zeigt.
Dort geht es jedoch auch in anderen Wirtschaftsbranchen aufwärts. Im Hinterland von Husavik liegt der See Myvatn. Überall in diesem Gebiet steigen Dämpfe empor und erinnern an die vulkanische Aktivität. Diese Energie soll nun genutzt werden, um auf Bakka bei Husavik ein Ferrosilizium-Schmelzwerk zu betreiben. Das Werk soll von der deutschen Firma PCC errichtet werden. Früher war am gleichen Standort einmal ein riesiges Aluminiumwerk geplant. Doch im Zuge der neuen isländischen Vernunft soll es eine Nummer kleiner werden.
»Wir brauchen rund 52 Megawatt Strom für unser Werk, ein Aluminiumschmelzwerk muss dagegen mindestens 350 Megawatt haben«, sagt Sabine König von PCC. Sie ist nach Husavik gekommen, um die Bevölkerung über den neusten Entwicklungsstand zu informieren. Wenn alles gut geht, hofft König, dass 2016 der erste Schmelzofen hochgefahren werden kann. Das geothermische Kraftwerk für das Ferrosilizium-Schmelzwerk soll bei Bjarnarflag unweit des Sees Myvatn durch die staatliche Gesellschaft Landskirkjun errichtet werden. Eine isländische Umweltschutzorganisation warnt zwar vor negativen folgen für den See. Bürgermeister Bergur Elias Augustsson glaubt aber an das Projekt. Es soll Arbeitsplätze nach Husavik bringen. Damit hofft er, die Abwanderung in die Städte stoppen zu können. »Wir brauchen diese stabilen Arbeitsplätze.«
Der wirtschaftliche Aufschwung führt indes auch zu einer neuen Haltung zur EU. Nach dem Zusammenbruch der Banken 2008 wurde ein EU-Beitritt auf Island zum ersten Mal richtig populär. Der Euro wurde als Ersatz für die schwache isländische Krone angesehen und ein Beitritt zur Europäischen Union wurde als neue politische Lösung. Doch dieser EU-Optimismus hat sich längst gelegt. Laut Umfragen wollen nicht einmal mehr 30 Prozent der Bevölkerung einen Beitritt, weit über 50 Prozent sind dagegen. Man braucht die EU scheinbar nicht mehr.
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