Sieg der alten Garde

Island rückt bei Parlamentswahlen von EU-Europa ab

  • André Anwar, Stockholm
  • Lesedauer: 2 Min.
Fünf Jahre nach der »Kreppa«, der Finanzkrise, haben die Isländer die Verantwortlichen zurück an die Macht gewählt. Die rot-grüne Regierung konnte den Wiederaufbau des Landes nicht für sich verbuchen. Das Ergebnis heißt auch Abkehr von Europa.

Noch Anfang 2009 erzwang das isländische Volk in Massendemonstrationen mit scheppernden Töpfen und Pfannen den Regierungsrücktritt des damaligen konservativen Ministerpräsidenten Geir Haarde. Nach dem Zusammenbruch der isländischen Krone wollte das Volk so schnell wie möglich in den vermeintlich schützenden Hafen von EU und Euro. Es wählte erstmals in der Geschichte des Landes eine EU-freundliche rot-grüne Regierung.

Seit Sonnabend ist die Island seit der Unabhängigkeit 1944 traditionell regierende konservative Partei wieder stärkste Kraft im Lande. »Die Unabhängigkeitspartei ist zurück in den Dienst beordert worden!«, verkündete Spitzenkandidat Bjarni Benediktsson am Sonntagmorgen, nachdem das vorläufige Endergebnis der Parlamentswahl feststand. Danach ist die Unabhängigkeitspartei mit 26,7 Prozent stärkste Kraft im Lande und Benediktsson der nächste Ministerpräsident.

Vor allem die alte Machtelite, zahlreiche Medien und die Großunternehmer der gewichtigen Fischindustrie - das Rückgrat der isländischen Wirtschaft - stehen hinter Benediktssons Partei. Sie will die von der rot-grünen Regierung aufgenommenen EU-Beitrittsverhandlungen stoppen, damit Island wegen seiner Fangquoten, etwa im jüngsten Konflikt um Makrelen, nicht unter Druck gesetzt werden kann. Zudem ist die stark entwertete Krone ein unternehmerischer Segen für den Fisch- als auch Aluminiumexport sowie den Tourismus.

Aber auch in der Bevölkerung gilt ein EU-Beitritt wieder zunehmend als unerwünscht. Die Konservativen kündigten bereits eine Volksabstimmung an, die voraussichtlich den endgültigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen besiegeln wird.

Den bürgerlichen Machtwechsel machte am Samstag vor allem der traditionelle Juniorpartner der Konservativen, die liberale Fortschrittspartei, möglich. Sie steigerte ihren Stimmenanteil von 14,8 Prozent auf 24,43 Prozent. Die Liberalen versprachen Steuersenkungen und den Erlass von 20 Prozent aller Auslandshypotheken. Dass ihnen das Finanzabenteuer von 2008 so schnell verziehen wird, finden diese selbst überraschend. »Ich gebe zu, dass ich ein wenig verwundert bin, wie schnell es ging«, sagte der Liberalen-Chef David Gunnlaugsson. Mit Konservativen und Liberalen wird Island voraussichtlich wieder von der gleichen Koalition regiert werden, die das Land von 1995 bis 2007 angeführt hatte und es in den wirtschaftlichen Abgrund stieß.

Die abgewählte Regierungskoalition aus Sozialdemokraten (12,85 Prozent) und Links-Grüner Bewegung (10,87 Prozent) hat gut die Hälfte ihrer Wähler verloren. »Vielleicht haben wir nicht ausreichend erklärt, was wir getan haben und wie ernst die Lage war. Wir haben alles aufgeräumt, sind dabei aber zum Gesicht der Probleme geworden«, sagte die sozialdemokratische Finanzministerin Katrin Juliusdottir noch im Wahlkampf. Tatsächlich hat ihre Regierung etwa vom IWF nur Lob zu hören bekommen. Ihre wirtschaftspolitischen Entscheidungen wurden als Vorbild für das kriselnde Südeuropa angepriesen.

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