Journalisten weiterhin als Terroristen behandelt
Im weltweit größten Prozess gegen unliebsame Presse bleibt die türkische Justiz im Wesentlichen unnachgiebig
Der Entspannung im Kurdenkonflikt trägt die türkische Justiz nur langsam Rechnung. Immerhin dürfen sich die 46 überwiegend kurdischen Angeklagten im derzeit weltweit größten Journalisten-Prozess seit Beginn der jüngsten Verhandlungsserie vergangene Woche in ihrer Muttersprache äußern. Das war eine ihrer wichtigsten Forderungen, die das Sondergericht in Silivri bei Istanbul bislang kategorisch abgelehnt hatte. An der Anklage wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrorgruppe (gemeint sind die verbotene PKK und ihr nahe legale Organisationen) hat das aber nichts geändert.
Die Angeklagten beharren darauf, nur ihre Arbeit als Reporter, Redakteure und Herausgeber gemacht zu haben. Beispiel Ömer Celik: »Er ist angeklagt, weil er versuchte, die türkische Gesellschaft über die Lage der Kurden im Land zu informieren«, sagt sein Anwalt Izzet Kilic. Der Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Diha habe sich nichts Kriminelles zu Schulden kommen lassen, sondern unter den Augen der Polizei Texte verfasst und Fotos gemacht. Für Celik hat der Landesverband Hessen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union in der Gewerkschaft ver.di eine Patenschaft übernommen. Ihr Vertreter Joachim Legatis beobachtete den Prozess zusammen mit belgischen Parlamentariern und türkischen Gewerkschaftern.
Johann Bihr, bei Reporter ohne Grenzen (ROG) für Europa und Zentralasien zuständig, und der ROG-Türkei-Repräsentant Erol Önderoglu waren ebenfalls in Silivri, um Unterstützung zu demonstrieren. Bihr sagte, die Türkei halte einen traurigen Rekord in der Journalisten-Verfolgung: 26 der Angeklagten sitzen seit 15 Monaten in U-Haft. Gerade einmal zwei von ihnen, Sadik Topaloglu und Zeynep Kuray, wurden am Wochenende entlassen.
Turabi Kisin muss trotz seiner schweren Nierenerkrankung im Gefängnis bleiben. Dem 40-jährigen Journalisten der kurdischen Tageszeitung »Özgür Gündem« werde eine Behandlung außerhalb des Hochsicherheitstrakts Kandira verweigert, berichtete seine Tante.
Ziya Cicekci, Chef der prokurdischen Oppositionszeitung »Günlük«, war bereits vor Wochen frei gelassen worden. »Wir waren umgeben von einer Riesenmenge Beton und Eisen an einem Platz, dem jede Menschlichkeit fremd ist«, sagt er. Die Häftlinge seien isoliert. Physische Folter habe er nicht erlebt, aber systematische »psychologische Gewalt«.
Auch bei Cicekci gibt es trotz mitgeschnittener Telefonate und Hausdurchsuchungen keine Beweise für eine »Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation«. Er hofft, dass die jüngsten Änderungen des Antiterrorgesetzes endlich wirksam werden. Dann sei eine Wende im Prozess möglich. Er fürchtet aber, das Verfahren werde sich noch lange hinziehen. Die nächsten Sitzungen sind für den 17. bis 19. Juni terminiert.
Skepsis bleibt angebracht, denn die Gesetzesänderung erlaubt weiterhin die Dehnung des Begriffs »Terrorismus«, um politische Gegner mundtot zu machen. Nach wie vor können sie bis zu zehn Jahre lang in Untersuchungshaft festgehalten werden.
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