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Euro-Politik vom Kopf auf die Füße stellen

Zur Debatte über die Politik der Linken und zur Frage, was eigentlich im Wahlprogramm steht

  • Jan Marose
  • Lesedauer: 7 Min.

Katja Kipping hat in ihrem Beitrag zur aktuellen Euro-Debatte der Linken bereits auf die Rede von Gregor Gysi vor fast genau 15 Jahren hingewiesen. Am 23. April 1998 hat der damalige PDS-Fraktionschef in der entscheidenden Debatte im Bundestag zur Einführung des Euro unter anderem gesagt: „Alle würdigen am Euro, dass sich die Exportchancen Deutschlands erhöhen würden. Wenn das dann so ist, dann müssen doch andere Produktionsunternehmen in anderen Ländern darunter leiden. Anders ginge es doch gar nicht. Das heißt, wir wollen den Export Deutschlands erhöhen und damit die Industrie in Portugal, Spanien und anderen Ländern schwächen. Die werden verostdeutscht, weil sie diesem Export nicht standhalten können. Das ist eines der Probleme, das zu einer weiteren Spaltung innerhalb Europas führt.“

Und Gysi sagte weiter: „Es ist ein Euro der Banken und der Exportkonzerne, nicht der kleinen und mittelständischen Unternehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind, nicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir haben es mit einem weiteren Problem zu tun, nämlich dem, dass der Reichtum in diesem Europa wachsen wird, aber in immer weniger Händen liegen wird.“

Es ist verblüffend, wie wahr und wie hoch aktuell die damalige Einschätzung Gysis zu den Folgen der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ohne politische Grundlage heute ist.

Euro-Krise wieder im Zentrum des Wahlkampfes

Aufgrund des jüngsten „Rettungspaketes“ für Zypern (das auch in diesem Fall lediglich Banken rettet und Beschäftigte, Erwerbslose, Rentnerinnen und Rentner und die dortige Wirtschaft mit Spardiktaten traktiert) und der Gründung einer neuen Partei, der „Alternative für Deutschland“ (AfD), steht das fast schon aus dem Blick geratene - und zuweilen als gelöst empfundene - Thema Euro-Krise wieder im Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung. Es ist zu vermuten, dass es sich bis zum 22. September zu einem zentralen Wahlkampfthema entwickelt.

Die Linke wäre dafür gut gerüstet. Auf die linken Alternativen zur gegenwärtigen Merkel-Steinbrück-Europapolitik hat unsere Fraktion in allen Debatten im Bundestag hingewiesen. Wir haben alle als Rettungsprogramme verklärten Kürzungsdiktate, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und den Fiskalpakt im Bundestag aus guten Gründen abgelehnt. Als einzige Fraktion wohlgemerkt, als einzige wirklich europafreundliche Partei (wenn wir uns die Folgen der Austeritätspolitik in Griechenland, Portugal und Spanien vor Augen führen, muss man das so sagen).

Unsere Begründungen der vergangenen drei Jahre für eine alternative Politik, um der europäischen Banken- und Finanzkrise Herr zu werden, sind selbstredend auch die Grundlage für die Erarbeitung des Wahlprogramm-Entwurfes gewesen. „Am Anfang jeder Krisenlösung“, so heißt es im Leitantrag, „steht: Abbau der Ungleichgewichte, steigende Löhne und sozial-ökologische Investitionsprogramme, die Nachfrage steigern, Finanzmärkte regulieren und Vermögende besteuern.“

Punkte für eine linke Strategie gegen die Krise

Über Reihenfolge und Gewichtung kann man trefflich streiten, aber unbestritten ist doch, dass eine linke Strategie zur Bewältigung der Krise folgende Punkte beinhalten muss: Die Verursacher und Profiteure der Krise in Deutschland und europaweit müssen zur Kasse gebeten werden, um nicht zuletzt die aufgrund von Bankenrettungen und Finanzkrise entstandenen Schulden der öffentlichen Haushalte zurückzuführen und öffentliche Investitionen wieder zu ermöglichen. Der Finanzsektor muss reguliert und in seinem Volumen erheblich geschrumpft werden. „Das Finanzsystem braucht keine Spielbanken. Modell des neuen Finanzwesens sind Sparkassen und Genossenschaftsbanken“, heißt es im Wahlprogramm. Und die von Gregor Gysi schon vor 15 Jahren prophezeiten massiven Ungleichgewichte im Außenhandel sind abzubauen.

Dies geschieht unter anderem durch eine zur Agenda 2010 diametral entgegengesetzte Lohnpolitik innerhalb Deutschlands. Eckpunkte für eine Kehrtwende in dieser Frage haben zum Beispiel Bernd Riexinger und Klaus Ernst am vergangenen Montag auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Mit einer Lohnoffensive und einer Steigerung der Reallöhne von zehn Prozent bis zum Ende der kommenden Legislaturperiode wäre auch in Hinblick auf die derzeitige Krisensituation in Europa schon viel gewonnen.

Das heißt, wir haben mit diesen drei wesentlichen – innerparteilich völlig unstrittigen - Forderungen konsistente und gut kommunizierbare Alternativen zum gegenwärtigen Kurs der Kanzlerin und des SPD-Kanzlerkandidaten. Auch auf diesem Gebiet können wir Lösungskompetenz unter Beweis stellen, mit der wir selbstbewusst umgehen sollten. Im Übrigen, nicht eine dieser Forderungen wird von der AfD vertreten. Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen der Partei „Die Linke“ und der AfD. Sie will weder Reichtum besteuern, noch Banken regulieren oder die Löhne anheben. Noch aus ganz anderen Gründen ist die programmatische Distanz zur neoliberalen, rechtspopulistischen und nationalistischen AfD so groß wie zu keiner anderen im Bundestag vertretenen Partei.

Was hieße heute: „Euro so – nicht!“?

Fabio de Masi schreibt in seinem ersten Beitrag zu dieser Debatte: „Oder wie der Parteivorstand ohne Not am Wochenende des AfD-Parteitages einen Absatz in das Wahlprogramm aufnahm, der beinhaltet, die Architektur des Euro sei zwar eine Katastrophe, aber wir halten dennoch an ihm fest.“

Das stimmt, das Wahlprogramm hält am Euro fest, und zwar gerade weil seine Architektur und nicht der Euro selbst die Katastrophe ist. Nicht die Währung, sondern die falsche Politik ist das Problem. Dieser Auffassung war auch die PDS vor fünfzehn Jahren. Es fehlten schlicht die politischen Voraussetzungen für eine Währungsunion. „Man kann einen Kontinent nicht über Geld einen“, sagte Gysi 1998 im Bundestag, und die PDS machte (erfolgreich) Wahlkampf mit der Losung: „Euro – so nicht!“. So falsch damals die Einführung des Euro war, so kontraproduktiv (in sozialer, ökonomischer, politischer und kultureller Hinsicht) wäre heute das schlichte Gegenteil. Kein Problem in Europa wäre damit gelöst, die Auswirkungen der Kürzungspolitik würden sich in einem unvorstellbaren Maß verstärken.

Zur Euro-Frage steht im Entwurf des Wahlprogramms: „Auch wenn die Europäische Währungsunion große Konstruktionsfehler enthält, tritt DIE LINKE nicht für ein Ende des Euro ein. Ganz im Gegenteil, die Währungsunion muss vom Kopf auf die Füße gestellt und neu ausgerichtet werden, dass sie nicht die Spaltungen vertieft, sondern die Ungleichheiten überbrücken hilft und eine friedliche und fruchtbare Zusammenarbeit in Europa befördert.“

Kein Weiter so, keine bloße Verteidigung des Euro

Das ist keineswegs eine Politik des „Weiter so!“ oder eine bloße, gar apodiktische „Verteidigung des Euros“, wie Fabio meint, sondern ein grundsätzlich alternativer Weg zu allen anderen Parteien. An dieser Stelle ist auch Frank Puskarev zu widersprechen, der schreibt: „ Die EU wäre damit (gemeint ist die Abschaffung des Euro, Anm. J.M.) am Ende, denn mit Euro und Binnenmarkt verschwände auch das Letzte, dem die Menschen in der EU noch irgendetwas Positives abgewinnen können.“ So sollten wir nicht argumentieren. Das erinnert ungewollt doch stark an Merkels Menetekel „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Europa (und auch die EU) ist mehr als der Euro. Es ist eine Idee - vor allem auch eine linke Idee, die Demokratie, Frieden und den Sozial- und Rechtsstaat in ganz Europa verwirklichen will.

Die Losung „Euro – so nicht“! würde heute bedeuten - neben den oben genannten Punkten (Umverteilung von oben nach unten, umfassende Regulierung der Banken und des gesamten Finanzsektors, Abbau der Ungleichgewichte durch Lohnerhöhungen in Deutschland) – zunächst einmal einen grundlegenden ökonomischen Kurswechsel in den europäischen Krisenstaaten einzuleiten. Die Strukturprogramme der Troika sind eine tödliche Medizin. Wir brauchen stattdessen umfassende Investitionen in die soziale Infrastruktur der Gesellschaften und in Zukunftsbereiche wie den sozial-ökologischen Umbau.

Schließlich muss das nachgeholt werden, was wir schon 1998 kritisierten. Der Euro muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden, indem die Konstruktionsfehler der Währungsunion beseitigt werden. „Dazu müssen in Zukunft die Wirtschafts-, Fiskal-, Steuer-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitiken der Euro-Mitgliedsländer enger abgestimmt und der heute vorherrschende Wettbewerb durch Steuer-, Sozial- und Lohndumping unterbunden werden.“ (Leitantrag) Das ist für uns ein Junktim und nicht einfach der Ruf nach mehr Europa, den es auch in neoliberaler Form gibt. Der Fiskalpakt hat auf fatale Weise gezeigt, dass das eine auch ohne das andere geht. Erst recht kein Grund, den Neoliberalen Europa zu überlassen.

Jan Marose ist Mitarbeiter der Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei im Bereich Strategie und Grundsatzfragen.

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