Es profitieren nur die großen Konzerne
Attac-Experte Roland Süß über den Boom und die Folgen bilateraler Freihandelsabkommen / Roland Süß ist Mitglied im Koordinierungskreis von Attac und ist aktiv in der AG Welthandel & WTO
● Das EU-Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien ist bei Weitem nicht das einzige dieser Art, zu dem es gerade Verhandlungen gibt. Wieso diese Eile?
Es finden mit ungefähr 70 Ländern ähnliche Verhandlungen statt. Das Ziel ist im Grunde immer das gleiche: Handelsinteressen werden in den Vordergrund gestellt, Umwelt, soziale und Menschenrechtsfragen bleiben auf der Strecke. Das Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien wird die menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Probleme verschärfen. Die Oppositionsparteien SPD, Grüne und LINKE haben es im Europaparlament und im Bundestag abgelehnt. Sie können und sollten das Abkommen heute im Bundesrat verhindern. Alles andere wäre inkonsequent und unglaubwürdig.
● Ursprünglich waren weitere Länder dabei ...
Bolivien und Ecuador. Sie hatten jedoch andere Vorstellungen über Inhalt und Ziele eines Abkommens. Die EU schloss daraufhin Bolivien von den Verhandlungen aus und Ecuador zog sich 2009 zurück. Sie setzen sich jetzt eher für regionale Handelsstrukturen ein.
● Warum boomen bilaterale Freihandelsverhandlungen?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst sind die multinationalen Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) seit über zehn Jahren ins Stocken geraten. Daher wird mit bilateralen Abkommen versucht durchzusetzen, was in der WTO nicht gelingt.
● Warum hakt es in der WTO?
Die Länder des Südens hatten die Erfahrung gemacht, dass Freihandel vor allem den großen internationalen Konzernen nutzt. In deregulierten Märkten sind schwächere einheimische Wirtschaftsstrukturen der internationalen Konkurrenz schutzlos ausgeliefert. Die Politik der WTO besteht aus einer entwicklungs-, menschen- und umweltfeindlichen Liberalisierungsagenda. Dagegen gibt es Widerstand.
● Spielt die momentane Krise eine Rolle bei den Verhandlungen?
Ja. Die Befürworter der Abkommen behaupten immer wieder, dass durch einen liberalisierten Handel mehr Wachstum und Jobs geschaffen und so auch die Krise überwunden werden würden. Diese exportorientierte Politik verstärkt aber die weltweiten Ungleichgewichte. Sie erzeugt auf der einen Seite hohe Exportüberschüsse, auf der anderen hohe Importüberschüsse und damit Verschuldung. Dadurch wird die Krise nicht gelöst, sondern verschärft.
● Die EU-Kommission verhandelt auch mit der US-Regierung über ein neues Freihandels- und Investitionsabkommen. Laut einem Bericht des Ifo-Instituts im Auftrage des Bundeswirtschaftsministeriums sind die eigentlichen Handelsschranken nicht Zölle, sondern nichttarifäre Bestimmungen.
In der Tat sind die Zölle zwischen den USA und Europa sehr niedrig. Sie liegen im Durchschnitt bei vier Prozent. Hier geht es darum, Standards gegenseitig anzuerkennen, was zur Schwächung von Verbraucher- und Umweltschutzbestimmungen sowie bei Sozialstandards führen würde. Die Konzerne fordern einen erhöhten Investitionsschutz und ein Klagerecht für Konzerne. Deutschland zum Beispiel hat Interesse daran, den Autoexport in die USA zu erleichtern.
● Und welche Interessen verfolgen die USA?
Bei ihnen hat zum Beispiel die Agrarlobby ein großes Interesse an dem Abkommen. Es gibt in den USA viele gentechnisch veränderte Produkte, die dort zugelassen sind, aber noch nicht in Europa.
● Wird es in Zukunft noch mehr solcher Verträge geben?
Die Tendenz ist eher steigend. Denn es geht auch darum, mit möglichst vielen bilateral durchgesetzten Abkommen, mit einer Salamitaktik, den Widerstand bei den WTO-Verhandlungen zu brechen. Interview: Simon Poelchau
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.