Unbequeme Fragen

  • Rudolf Dreßler
  • Lesedauer: 3 Min.

Warum muss sich die Sozialdemokratische Partei fragen lassen, ob ihr von einem Bundesparteitag einstimmig beschlossenes Wahlprogramm mehr ist als linke Rhetorik? Warum fragen sich politisch Interessierte, was der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Blick hat, wenn er sagt, seine Partei wolle »für ein neues soziales Gleichgewicht bei guter wirtschaftlicher Entwicklung sorgen«?

Die Erinnerung an sozialdemokratische Regierungsergebnisse und der ständige rhetorische Stolz auf diese Resultate sind Ursache für diese Fragen. Es darf nicht verwundern: Wer ein neues soziales Gleichgewicht ankündigt und das alte, selbst geschaffene Ungleichgewicht immer wieder lobt, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Dieses Glaubwürdigkeitsproblem legt sich wie Mehltau auf alle Aktivitäten, die so etwas wie Kampagnenfähigkeit in den Vorwahlkampf bringen sollen. Denn der Ausgangspunkt ist alles andere als eine Vorlage für den Spurt auf der Zielgeraden.

Ausgangspunkt ist ein Wahlergebnis von 23 Prozent für die SPD bei der letzten Bundestagswahl. Niemand, der ernst genommen werden will, wird von diesem Ausgangspunkt einen möglichen Wahlsieg erwarten. Das gesamte Wahlergebnis des Jahres 2009 signalisiert gleichwohl etwas anderes: Alle Oppositionsstimmen zusammen ergeben, dass die Regierungsparteien nur einen Vorsprung von 2,8 Prozentpunkten haben. Dieser geringe Abstand wäre ein Signal für eine demokratische Machtperspektive gewesen.

Die SPD hat es vorgezogen, so etwas wie einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linkspartei zu fassen. Damit hat die SPD das, was für einen chancenreichen Wahlkampf unerlässlich ist, der CDU/CSU auf den Gabentisch gelegt: Es gibt keine Machtoption. Es gibt keine Wechselstimmung. Seit drei Jahren verweigert in den Umfragen die befragte Bevölkerung der SPD die fehlenden Prozentpunkte für eine Wechselstimmung.

Sozialdemokratische Wahlerfolge ohne sozialpolitisches Profil hat es in der zweiten deutschen Republik nicht gegeben. Meinungsforscher informieren, dass »soziale Gerechtigkeit« in der Bevölkerung eine größere Rolle spielt, als es Politiker einräumen. Wenn auch Sozialdemokraten dies missachten, dann grenzt das an Arbeitsverweigerung. Gleichzeitig verlautbart, dass mittlerweile über 50 Prozent der Bevölkerung nicht mehr glauben, dass die sogenannte Agenda 2010 der Regierung Schröder der richtige Weg war. In den Umfragen dümpelt die SPD zwischen 23 und 28 Prozent. Und: Nur naive Gemüter dürfen glauben, es gebe keine Leihstimmenkampagne der CDU/CSU für die FDP.

In dieser Lage hat die SPD nur noch die Chance, mit einem alternativen Wahlprogramm und glaubwürdigen Personen zu punkten. Das Wahlprogramm liegt vor. Das Team um den Kandidaten fehlt im öffentlichen Bewusstsein. Wenn Steinbrück noch lange zögert, Persönlichkeiten wahrnehmbar in die erste Reihe zu stellen oder schlimmer, wenn er glaubt, das Herzstück eines sozialdemokratischen Wahlkampfes, die »soziale Gerechtigkeit«, selbst repräsentieren zu können, scheitert er. Es kann der SPD-Führung nicht verborgen geblieben sein, dass auf dem Felde der »sozialen Kompetenz« ein Umfrage-Gau registriert werden muss (Politbarometer): Merkel liegt zwei Punkte (26 Prozent) vor Steinbrück (24 Prozent). Bei keiner Bundestagswahl hat der SPD-Kandidat bisher in der »sozialen Kompetenz« hinter der CDU-Bewerbung gelegen.

Man kann der SPD-Führung einiges an Versäumnissen vorhalten. Darüber hinaus werden die Sozialdemokraten ertragen müssen, dass man ihrem gesellschaftspolitischen Politikangebot und einigen Repräsentanten mit Skepsis begegnet. Was man ihnen nicht unterstellen sollte, ist »linke Rhetorik« in das Wahlprogramm zu schreiben und das dann einstimmig zu beschließen. Wenn das SPD-Führungspersonal eines solchen Tuns überführt werden könnte, wäre nicht allein weiterer Liebesentzug der zu zahlende Preis. Da es sich um vorsätzliches Tun handeln würde, müsste die Volkspartei SPD mit der Höchststrafe rechnen: Der Charakter als Volkspartei würde zur Disposition gestellt. Jedenfalls für viele, die das 23-Prozent-Ergebnis von 2009 nicht als das Ende der Volkspartei SPD definiert sehen wollen.

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