Verdächtiger Sand im Hosenaufschlag
Der Mord am christdemokratischen Parteiführer Aldo Moro vor 35 Jahren
9. Mai 1978: Im Kofferraum eines in der Via Michelangelo Caetani in Rom abgestellten roten Renault 4 wird - nach einem anonymen Anruf - gegen 13 Uhr die Leiche von Aldo Moro, Führer der konservativen Democrazia Cristiana (DC), aufgefunden. Er war 55 Tage zuvor, am 16. März, entführt worden, als er sich gerade auf dem Weg ins Parlament befand. Das Kidnapping wurde den linksextremen Roten Brigaden (Brigate Rosse) zugeschrieben. jedoch handelte es sich in Wirklichkeit um eine Operation der CIA, der Geheimarmee Gladio und der faschistischen Loge P 2. Ein hoffnungsvolles Projekt - das vom bürgerlichen Politiker Aldo Moro mit dem Generalsekretär der Italienischen KP Enrico Berlinguer gegen die rechtsextreme Gefahr geschlossene Regierungsbündnis - sollte damit zu Fall gebracht werden. Nach wie vor umstritten ist, gerade unter Linken, inwieweit hierfür die Roten Brigaden von Geheimdiensten unterwandert und angestiftet worden sind.
Wie steht es um die Fakten? Von den bei der Entführung auf das Begleitkommando Moros abgefeuerten 92 Patronen waren 39 mit einem Speziallack überzogen, mit dem auch die Munition »nichtkonventioneller Armee-Einheiten«, Spezialeinheiten der NATO, präpariert war. Und nach der Aufdeckung von Gladio 1991 bestätigte deren langjähriger Befehlshaber General Gerardo Serravalle vor einer parlamentarischen Untersuchungskommission, dass der Schütze, der Moros fünf Begleiter erschossen hatte, ein hochqualifizierter Militärspezialist war.
Zehn Jahre vor Gladio war 1981 bereits die P 2 aufgeflogen. Die Vorsitzende der damaligen untersuchenden Parlamentskommission, Tina Anselmi (DC), schlussfolgerte, dass »das völlige Versagen unseres Sicherheitsapparates während der Affäre Moro« mit der P 2-Mitgliedschaft von Angehörigen des Komitees zusammenhing, das für die Fahndung verantwortlich war, darunter die Chefs der beiden italienischen Geheimdienste. Mittlerweile hat zudem in mehreren Büchern das ehemalige Kommissionsmitglied Sergio Flamigni bewiesen, dass auch Geheimdienste der USA verstrickt waren. Seinen Recherchen nach war »der tatsächliche Chef« der Brigate Rosse ein CIA-Agent namens Corrado Simioni.
Weitere Fakten: In den Hosenaufschlägen des toten Moros hat man Sand gefunden, der von den Tolfa-Hügeln bei Rom stammte, wo sich ein Gladio-Stützpunkt befand. Ein zweites starkes Indiz: Der rote Renault war nur einen Kilometer entfernt von der Abgeordnetenkammer, dem Sitz des Senats und dem Amtssitz des Staatspräsidenten entfernt abgestellt worden. Das für gewöhnlich gut bewachte Viertel war seit der Entführung Moros erst recht von einem dichten Polizeikordon umgeben. In Rom befanden sich nach Moros Entführung 172 270 Polizisten im Einsatz, 6296 Straßensperren waren errichtet, 167 109 Personen und 96 572 Fahrzeuge wurden überprüft. Wie konnte da am 9. Mai gegen zehn Uhr ein als gestohlen gemeldeter Renault unauffällig geparkt werden und noch drei Stunden dort stehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?
Das »Verlies« Moros konnte nur ein für die Fahnder unantastbares Versteck gewesen sein, also ein Gebäude, das keiner Überwachung unterlag. Hier kam die Botschaft der USA ebenso in Frage wie die Residenz des Erzbischofs Marcinkus, an denen die Entführer mit ihrem Fluchtauto vorbei gefahren sein müssen. In später aufgefundenen Dokumenten der Brigate Rosse war der im sogenannten Hebräischen Viertel liegende Palazzo Orsini der Adelsfamilie Caetani vermerkt, von der mehrere Angehörige Mitglieder der P 2 waren. Dubios bleibt auch, dass die von den Roten Brigaden angekündigte Veröffentlichung eines Tonbandes von ihrem »Verhör« Moros nie erfolgte. Im November 1978 fand der Carabinieri-General Alberto Dalla Chiesa in einer Wohnung der Brigate Rosse in Mailand lediglich die angebliche Abschrift jenes »Verhörs« in Maschinenschrift. Vom Tonband fehlt bis heute jede Spur. Den »Verhörern« muss wohl eine »Panne« unterlaufen sein. Vermutlich waren auf dem Band Nebengeräusche zu hören, die ehrlichen Ermittlern geholfen hätten, Moros Versteck zu identifizieren.
Dalla Chiesa wurde am 3. September 1982 in Palermo erschossen; aus seinem Safe waren alle Unterlagen, die er gegen Gladio und P 2 gesammelt hatte, entwendet. Im Prozess 1993 gegen Giulio Andreotti, DC-Politiker und mehrmaliger Ministerpräsident, wegen Mitgliedschaft in der Mafia sagte auch Mafioso Calogero Ganci, aus, der den Mord an Dalla Chiesas geleitet hatte: Der Carabinieri sei umgebracht worden, um Andreotti einen Dienst zu erweisen.
Unser Autor, langjähriger Auslandskorrespondent, u. a. in Italien, verfasste mehrere Sachbücher zum Mord an Moro sowie die Kriminalerzählung »Warum Aldo Moro sterben musste«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.