Wüstenkartoffel für deutsche Teller
Einkaufswagen verraten viel über die Psyche jener Menschen, die sie durch den Supermarkt manövrieren. Beispielsweise über junge Mütter, die anstatt mit proletarisch klobigen Metallgestell auf vier Rädern den chicen 500 Euro Designerbabywagen zur fahrenden Waren- und Gemüsekiste umfunktionieren. Schließlich gilt es, sich auch beim Einkauf vom Rest der Bevölkerung abzuheben.
Wer zur bürgerlichen Berliner Mittelschicht gehört, will dies schließlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zeigen. Ein kurzer verstohlener Blick meinerseits in den Kinderwarenwagen zeigt: Gesichtsmortadella sucht man auf der Einkaufsliste der Großstadtökochiceria vergeblich. Stattdessen liegen dort verschiedenste Obst und Gemüsesorten, wo sonst der Nachwuchs friedlich an seinem Kautschukschnuller aus nachhaltiger Landwirtschaft nuckeln würde. Für Baby darf es nur das Beste und somit Bio sein. Bio-Karotten , Bio-Kartoffeln und Bio-Paprika. Was das grüne Label der Europäischen Union trägt, kann doch nur gut für Mensch und Natur sein, nicht wahr?
Allerdings scheint sich mancher Verbraucher, so auch diese junge Mutter mit dem umfunktionierten Kinderwarenwagen, mehr auf ein Etikett als auf den gesunden Menschenverstand zu verlassen. Ein kleiner Blick auf die Herstellerangaben würde genügen, um zu zeigen, dass Bio ein ziemlich dehnbarer Begriff geworden ist. Bio-Paprika aus Israel, Bio-Zwiebeln aus Argentinien, Bio-Kartoffeln aus Nordafrika. Wüstenknolle würde es wohl eher auf den Punkt bringen. Bevor sie jetzt zu ihrem Kochbuch greifen: Dabei handelt es sich keinesfalls um ein orientalisches Rezept zur Zubereitung des edlen Knollengewächs. Dessen Herkunft stammt in diesen Tagen vornehmlich nicht aus den Lagern einheimischer Agrargenossenschaften sondern aus den unendlichen Weiten des ägyptischen Wüstensandes.
Wie viel Bio in einer Knolle steckt, die Tausende Kilometer bis nach Deutschland verschifft wird und in ihrem Anbauland ein mehrfaches an Wasser verbraucht, kann sich jeder leicht selbst beantworten. Hauptsache Bio, Ökobilanz ade! Das grüne Label ist nicht in jedem Fall mit nachhaltiger Landwirtschaft zu verwechseln. Da spielt es auch keine Rolle, wenn ägyptische Bauern Jahrtausende alte Wasserreserven im Boden anzapfen müssen, um die durstigen Kartoffelfelder für den europäischen Verbraucher zu bestellen. Schließlich wünscht der sich stets knackiges Gemüse statt leicht angeschrumpelter Lagerware. Druckstellen sind schließlich unappetitlich! Zumindest will uns dies der Einzelhandel weismachen, der einheimische Knollen im Frühjahr oft erst gar nicht mehr im Sortiment führt, obwohl Tonnen davon zur Verfügung stehen. Deren Qualität und Inhaltsstoffe sind durch die Lagerung keinesfalls beeinträchtigt.
Französische Gourmets schwören sogar auf deutsche Ware, da diese geschmacklich gegenüber der Frühkartoffel aus ferneren Ländern punktet. Ein Ausgleich schafft der Export dennoch nicht. Mehrheitlich landen die deutschen Lagerkartoffeln über kurz oder lang als Futtermittel in der Tiermast. Man denke über diesen ökologischen Wahnsinn einmal kurz nach: Dem deutschen Verbraucher werden ägyptische Biokartoffeln aufgetischt, während die Ware der einheimischen Bauern entweder als Viehfutter endet oder nach Frankreich exportiert wird, da man dort noch Geschmack und die inneren Werte von Gemüse zu schätzen weiß. Dem Nachwuchs der Großstadtökochiceria dürfte es einigermaßen egal sein, ob der Rohstoff für seinen Kartoffelbrei ein paar Druckstellen aufwies, bevor er durch die Quetsche gedrückt wurde. Mama wollte nur das Beste, denn Hauptsache die Knolle war Bio.
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