Neuer Machtkampf an Bulgariens Horizont
Parlamentswahl bestätigte politischen Status quo
Die vier Parteien und Bündnisse, die ihre Mandatsträger in die 42. Nationalversammlung entsenden dürfen, stehen für die arg zerklüftete politische Landschaft Bulgariens. Wieder einmal zeigt sich eine deutliche Links-Rechts-Polarisierung. Die beiden stärksten Kräfte haben den Löwenanteil der Stimmen erhalten: auf der rechten Seite die Partei Bürger für die Europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) unter Boiko Borissow, der bis Februar die Regierung führte, auf der linken die Koalition für Bulgarien, deren Flaggschiff die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) ist. Die beiden anderen Parlamentsparteien - die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS) und Ataka - reflektieren eine weitere Kluft in der Gesellschaft, nämlich die »ethnische«. Während die DPS die Interessen der türkischen und muslimischen Minderheit zu vertreten beansprucht, ist Ataka eine nationalistische Rechtsaußenpartei.
Am Wahltag und unmittelbar danach sind es jedoch die nackten Zahlen, die interessieren. GERB - stolz auf enge Beziehungen zur bayrischen CSU, die sogar als »Hebamme« der bulgarischen Partei bezeichnet wird - beansprucht 30,71 Prozent der Stimmen für sich. Obwohl Massenproteste Premier Boiko Borissow und seine Regierung im Februar zum Rücktritt veranlasst hatten, erfreut sich GERB offenbar nach wie vor erheblichen Vertrauens in der Gesellschaft.
Die Sozialisten unter Sergej Stanischew, deren Bündnis auf 27,02 Prozent der Stimmen kam, waren bereits 2005 bis 2009 Hauptkraft einer Regierungskoalition, deren Herrschaftszeit der Bevölkerung durch Korruptionsskandale und eine neoliberale Wirtschaftspolitik - unter anderem die Einführung der Einheitssteuer (Flat-Tax) - in unliebsamer Erinnerung geblieben ist.
Die DPS erhielt diesmal 10,59 Prozent der Stimmen, Ataka landete bei 7,38 Prozent. Beide mussten im Vergleich zu den Wahlen 2009 Verluste hinnehmen.
Auch angesichts eines neuerlichen Skandals - einen Tag vor der Abstimmung waren 350 000 leere Wahlzettel in einer privaten Druckerei beschlagnahmt worden - ist niemand recht glücklich mit dem Wahlergebnis. GERB hat anscheinend einen Pyrrhussieg errungen: Mangels absoluter Mehrheit im Parlament wird sich die Borissow-Partei Koalitionspartner suchen müssen, um weiter regieren zu können. Ein Bündnis von GERB und BSP scheint jedoch undenkbar. Und zu den anderen beiden möglichen Partnern, der »Türkenpartei« und den Ultrarechten, unterhält GERB ebenfalls Beziehungen herzlicher Feindschaft. Vertreter der Partei spekulierten deshalb erneut auf eine Minderheitsregierung, wogegen die BSP jedoch bereits heftig protestiert.
Sollte dennoch eine GERB-geführte Regierung zustande kommen, wird sie der CSU-inspirierten Sparpolitik treu bleiben. Obwohl sich seit Jahresbeginn bereits sechs Menschen aus Protest gegen Armut und Hoffnungslosigkeit in Flammen gesetzt haben. Vier davon starben. Iwan Genow, Kovorsitzender der Bulgarischen Linken, schätzte im »nd«-Gespräch ein, dass die Wahlen den politischen Status quo reproduziert haben. Das Ergebnis sei insbesondere verstörend in Bezug auf die Legitimität einer möglichen Koalitionsregierung: Nur die Hälfte der Wahlberechtigten hat sich beteiligt und 25 Prozent derer, die abgestimmt haben, bleiben ohne Vertretung im Parlament. Besorgt angesichts des Mangels an Vertrauen, bekräftigte Genow die Notwendigkeit einer authentischen linken Partei.
Vorerst zeichnet sich ein Machtkampf am politischen Horizont Bulgariens ab. Wie will ein Parlament mit vier einander bekämpfenden Parteien eine Lösung für die akute soziale und ökonomische Krise finden?
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