Chamäleon Erdogan
Roland Etzel über die Reaktion des türkischen Regierungschefs auf den Anschlag in Reyhanli
Bewiesen ist nichts, dennoch könnten die Attentate von Reyhanli der Startschuss zum offenen Krieg mit Syrien gewesen sein. In der Geschichte der Region taugten schon kleinere Provokationen dazu, Waffengänge zwischen Staaten auszulösen. Bereit zum Krieg gegen Damaskus stehen einige: die Monarchien der Arabischen Halbinsel, allen voran Katar; auch Frankreich und natürlich die Anti-Assad-Front innerhalb Syriens, die ihn längst führt, aber allein nicht gewinnen kann. Sie alle haben den Startschuss vernommen, sind aber in den Blöcken sitzen geblieben, denn loslaufen können sie nicht ohne die Türkei. Ankara hat die längste Grenze zu Syrien, die entsprechende Militärmacht und die mächtigsten Verbündeten.
Folglich richten sich aller Augen auf Erdogan. Was tut er? Der türkische Ministerpräsident gibt Erklärungen ab. Er wolle besonnen handeln und nicht in die »Falle des Syrien-Krieges« treten, betonte er gestern - um wenig später zu sagen, für ihn stehe das Assad-Regime als Drahtzieher des Massenmords fest.
Was gilt? Erdogan will schon einen schnellen Sturz Assads als weithin sichtbaren Beweis neutürkischer Dominanz in der Region. Dennoch zögert er, weil er fürchtet, mit einem Angriff auf Syrien einen Rubikon zu überschreiten. Erdogan weiß, dass die Stimmung im eigenen Land gegen Krieg mit Syrien ist, gerade im Südosten. Also heißt es, alles in der Schwebe zu halten. Wer die Attentäter waren, ist dafür am Ende zweitrangig.
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