Blöde Blicke sind alltäglich
Neue Studie belegt Diskriminierung von Homosexuellen und Transgender in Europa
Der Regenbogen ist das Symbol der Schwulen- und Lesbenbewegung. In bunte Streifen lässt sich aber auch die europäische Landkarte einteilen – nach dem Gesichtspunkt Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen (LGBT), wie eine Grafik des internationalen Verbands ILGA-Europe schon seit Jahren zeigt. Mit den unterschiedlichen Farben wird die Menschenrechtssituation von LGBT-Personen in 49 Ländern dargestellt. Während im Norden und Westen viele Staaten grün oder gelb gekennzeichnet sind, ist der Osten in Rottöne getaucht, die für Benachteiligung stehen.
Diese Regenbogenkarte war neben einer neuen Studie zur Situation von LGBT-Personen in Europa wichtigstes Thema bei einer Konferenz mit Ministern aus elf Ländern sowie Vertretern des Europarats und Menschenrechtsorganisationen, die sich am Donnerstag und Freitag in Den Haag trafen. Denn die im vergangenen Jahr von der EU-Grundrechteagentur (FRA) durchgeführte Online-Studie zeigt massive Probleme auf. Von den über 93 000 Menschen in den 27 EU-Mitgliedsstaaten und Kroatien, die sich als Transgender, homo- oder bisexuell bezeichneten und an der Befragung teilgenommen haben, gab fast die Hälfte (47 Prozent) an, in den letzten zwölf Monaten eine Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung erfahren zu haben. Sechs Prozent berichteten gar von körperlichen Angriffen, die sich zum Teil in der eigenen Familie abspielten. Doch nur 22 Prozent der Hassverbrechen werden bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Zwei Drittel der Befragten wagen es zudem nicht, in der Öffentlichkeit die Hand ihres gleichgeschlechtlichen Partners zu halten.
»Jede Person sollte zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Schule und in der Öffentlichkeit einfach sie selbst sein können – vielen LGBT-Personen ist dies jedoch offensichtlich nicht möglich«, kommentierte Morten Kjaerum, Direktor der FRA, die Studie. Die Ergebnisse zeigten, »dass Angst, Isolation und Diskriminierung bei LGBT-Personen in Europa an der Tagesordnung sind«.
Die für Grundrechte zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding verurteilte diesen Zustand. »Homophobe und transphobe Einstellungen sind unvereinbar mit den Werten und Prinzipien, auf denen die Europäische Union fußt – und wie sie im Artikel 2 der EU-Verträge festgeschrieben sind«, so Reding bei der Konferenz im niederländischen Den Haag.
Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, hat sich anlässlich des Internationalen Tags gegen Homophobie besorgt über die Lage Homosexueller in vielen Ländern geäußert. »In mehr als 70 Staaten ist Homosexualität auch heute noch mit rechtlichen Sanktionen bedroht, die von mehrjährigem Freiheitsentzug bis zur Todesstrafe reichen können«, sagte der FDP-Politiker am Freitag in Berlin. Er forderte Staaten und Regierungen auf, »die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte zu respektieren und zu schützen«.
Der Internationale Tag gegen Homophobie ist seit 2005 Bestandteil des Kalenders der Vereinten Nationen. Am 17. Mai 1990 strich die Weltgesundheitsorganisation WHO Homosexualität aus ihrem Katalog der psychischen Krankheiten.
Die Europaabgeordnete und Berichterstatterin für die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie, Kinga Göncz, bezeichnete die Studie als »Weckruf an uns alle in Europa«. Sie forderte die EU-Länder auf, die Antidiskriminierungs-Richtlinie nicht länger zu blockieren. Dem schloss sich der deutsche Lesben- und Schwulenverband (LSVD) an. Die Bundesregierung sei »der Hauptbremser« bei dem Vorhaben. Die EU-Kommission schlägt bereits seit 2008 eine fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie insbesondere für den Bereich des Zivilrechts vor. „Die Bundesregierung muss Homophobie, Transphobie und allen Formen von Diskriminierung entschieden entgegenwirken, anstatt die EU-Kommission und den Ministerrat auszubremsen“, hieß es in einer Mitteilung des LSVD von Freitag.
Auf den Internationalen Tag gegen Homophobie und die Forderung nach Gleichstellung von LGBT-Personen machten Menschen in zahlreichen Städten aufmerksam, darunter Beirut, St. Petersburg, Bangkok und Johannesburg. Andernorts gab es aber auch homophobe Proteste, wie etwa in Georgien.
In Berlin demonstrierte die Lesbenberatung LesMigras gegen die Streichung von Fördermitteln in Höhe von 15 000 Euro. Das Anti-Gewalt-Projekt MANEO rief zu einem »Kiss In« auf. Die Stadt Berlin trat derweil neben vielen weiteren dem europäischen Netzwerk der Rainbow Cities bei.
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