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Den Streit geschürt

Horst Arenz über Oskar Lafontaines Vorstoß zu einem Euro-Ausstieg und die »deutsche Einheitspartei«

  • Lesedauer: 7 Min.

„Wer sich zuviel streitet, wird nicht gewählt.“ Diese Erklärung zur Frage, warum die LINKE nicht von der Krise profitiert, hat Oskar Lafontaine unzählige Male bemüht (zuletzt im n-tv-Interview vom 1.12.). Die Tautologie der Aussage springt ins Auge, liefert sie doch keinen Hinweis, warum die LINKE sich streitet. Vermeintlich tiefer geht die geläufige Behauptung, bei dem Streit gehe es nicht um Inhalte, sondern nur um Macht. Aber geht es nicht immer schon hinter Kämpfen um Macht und Posten auch um Auffassungen? Der Kern der innerparteilichen Kämpfe dreht sich um die sattsam bekannte Frage Systemwechsel hier und jetzt versus Reformen auf dem Weg dahin. Dieser Streit ist grundsätzlich und bis heute nicht beigelegt, zumal er in irrationalen und unzivilisierten Formen stattfindet. Über die Inhalte, die den Streit transparent machen könnten, hat der in seiner Partei hochgeschätzte Wahlkämpfer sich indes stets ausgeschwiegen.

Nun aber hat Lafontaine selbst den Streit geschürt. Kurz nach Verabschiedung des Wahlprogrammentwurfs durch den Parteivorstand, in dem der Abkehr vom Euro eine Absage erteilt wird, lanciert er die Forderung, sich vom Euro zu verabschieden. Wichtig ist in Letzterem der genaue Wortlaut der Begründung: „Eine reale Aufwertung über steigende Löhne, wie sie im Falle Deutschlands notwendig wäre, ist … nicht zu machen. Die reale Abwertung über sinkende Löhne … führt – wie wir in Spanien, Griechenland und Portugal schon sehen können – zur Katastrophe. Wenn reale Auf- und Abwertungen auf diesem Wege nicht möglich sind, dann muss man die einheitliche Währung aufgeben.“ Mit dem Ausstieg sollten die Krisenländer beginnen. Es geht Lafontaine also nicht (wie vielfach beschwichtigend behauptet wird) um die Warnung, wenn die Politik sich nicht ändere, müsse man den Euro verlassen. Die Aussage ist eindeutig: Es gibt keine Alternative, die deutsche Linke und die eigene Partei müssen sich vom Euro verabschieden.

Lafontaine muss sich darüber im Klaren gewesen sein, dass er damit exakt das tut, wovor er die Partei immer gewarnt hat: Er schürt den Streit in der Partei – und dies fünf Monate vor der Wahl. Der sogenannte „Reformer“-Flügel protestierte denn auch heftig und fuhr öffentlich sofort – völlig überzogen wie so oft – schwerste Geschütze auf: Letztlich wolle Lafontaine erneut im rechtspopulistischen Lager fischen. Auch die beiden Parteivorsitzenden (hier und hier) haben klargemacht, dass ein Nein zum Euro nicht ihre Position und auch nicht die des Programmentwurfs ist.

Festzuhalten ist somit zunächst: Lafontaine selbst liefert den Beweis, dass nicht der Streit an sich, sondern tiefgreifende inhaltliche Differenzen und ungeklärte strategische Fragen der Grund sind, warum die Partei in den Umfragen bundesweit ihren Stimmanteil annähernd halbiert hat und im Westen bei drei Prozent (infratest dimap) dümpelt.

Festzuhalten ist auch, dass der Ex-Parteivorsitzende keinerlei Anstalten gemacht hat, seine in gewohnt fordistischer top-down-Manier verkündete Abkehr vom Euro vor der Verabschiedung des Entwurfs im Vorstand zur Debatte zu stellen - auch wenn nicht bestritten werden soll, dass er damit der Debatte über Wege aus der Eurokrise einen wichtigen Impuls gegeben hat.

Davon abgesehen provoziert der Vorschlag aber auch inhaltlich Vorbehalte. Lafontaine spart sich die Auseinandersetzung darüber, wie ein solcher Ausstieg zu bewerkstelligen ist und welche Folgen er für den Lohndruck in Deutschland und für Währung, Schulden, Inflation etc. der Krisenländer hätte. Auch zur Realisierbarkeit von Kapitalverkehrskontrollen und Schuldenschnitten verliert Lafontaine keine Zeile. Gustav Horn hat hierzu das Notwendige gesagt (zum Beispiel im „Handelsblatt“ am 23.5.). Lafontaine unterliegt einer folgenschweren Verkürzung, und dies teilt er mit Flassbeck und mit seinen früheren Parteigenossen Fritz Scharpf und Wolfgang Streeck, letztere übrigens seinerzeit harte Verfechter der Agenda 2010. Es ist unstrittig, dass Deutschland vor und mit der Agenda 2010 und danach Lohndumping auf Kosten anderer EU-Länder betrieben hat und dass mit dem Fiskalpakt etc. den Krisenländern eine Politik der Lohnsenkung und des Sozialabbaus mit verheerenden Wirkungen aufgezwungen wurde. Die Lohnfrage ist eine entscheidende Frage, aber sie ist nicht die einzige.

Mindestens ebenso entscheidend ist die Frage der Produktivität. An dieser aber hängt eine ganze Reihe von weiteren Fragen: die Produktivität des Kapitalstocks, weitergehend die Struktur des industriellen und Dienstleistungs-Sektors und die Effektivität des Öffentlichen Dienstes. Der Erfolg der deutschen Automobilindustrie gegenüber der französischen liegt an ihren besseren Produkten und nicht an zu geringen Löhnen.

Wie die Lohnhöhe ist auch umgekehrt die Währungsabwertung nicht die allein entscheidende Frage. Griechenland kann sich durch Abwertung einer neuen Drachme sicher in bestimmten Bereichen Erleichterung verschaffen. Zugespitzt gesagt: Mit Landwirtschaft und Tourismus als Schwerpunkt der Wertschöpfung ist Griechenland auch mit einer 50-prozentigen Abwertung nicht überlebensfähig. Ohne eine Umstrukturierung von Ökonomie und Dienstleistungssektor, ohne den Umbau seiner staatlichen Strukturen, ohne den Aufbau einer wirksamen Steuerverwaltung und die Lösung seines Schuldenproblems ist kein Ausweg in Sicht. Der Euro ist nicht das Kernproblem der sich verschärfenden Spaltung der Eurozone.

Hinzu kommt: Lafontaine erklärt die Eurofrage für entschieden und erteilt damit dem Kampf um Alternativen innerhalb des bestehenden Währungsverbunds eine Absage. EU-Kommissar Andor hat kürzlich einen „radikalen Kurswechsel in der Euro-Krise“ gefordert: „Sparen allein schafft kein Wachstum. Dazu braucht es zusätzliche Investitionen und Nachfrage“ und benennt dabei wohlgemerkt zwei Elemente. Der Widerstand gegen Merkel in den Krisenländern wird immer heftiger. Bei den französischen Sozialisten wird inzwischen die Absage der französischen Politik an Merkels Austeritätspolitik gefordert.

Solange der Euro besteht, ist es für Lafontaine verschenkte Mühe, an Widersprüche zwischen den führenden EU-Ländern und in der EU-Kommission anzuknüpfen und zum Beispiel den Kampf für einen zwischen Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland etc. koordinierten Widerstand gegen Merkel zu führen. „Marshall-Pläne“ in den Krisenländern mit dem Ziel, neue, überlebensfähige ökonomische Strukturen aufzubauen – ein Politikfeld, zu dem Deutschland kräftig beizusteuern hätte und auf dem die Bundesregierung total versagt hat - hält er für wirkungslos, solange am Euro festgehalten wird.

Lafontaine ist dabei konsequent. Widersprüche im herrschenden Lager – national oder auf EU-Ebene - sind für ihn unerheblich - wenn nicht sogar bewusst inszeniert. In einem Junge-Welt-Artikel vertritt er die These vom deutschen „Einheitsparteiensystem mit vier Flügeln“ aus CDU/CSU, SPD und Grünen. Völlig zu recht erklärt er, alle vier Parteien stünden für den Fiskalpakt, setzten sich für die Ausgrenzung der Partei die LINKEN ein und bejahten die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Dies muss die die LINKE zweifellos zum Thema machen, vor allem mit Blick auf rot-grün. Dass es dennoch in der Auseinandersetzung um die Politik innerhalb des Kapitalismus zwischen den vier Parteien heftige Widersprüche und Kämpfe gibt – er zählt immerhin 24 Forderungen auf, die rot-grün von der LINKEN abgeschrieben und zu ihrem Programm gemacht haben - davon dürfe man sich beim Kampf um den Sozialismus nicht irre machen lassen. Ob es um die EU-Mitgliedsländer, die operativen Organe der EU oder die deutsche Parteienlandschaft geht: Für Lafontaine sind die dort vorhandenen Widersprüche und der Kampf um ihre Akzentuierung ohne Belang - ebenso wie die Tatsache, dass Deutschland mit solchen Vereinfachungen historisch die bekannten Erfahrungen gemacht hat.

Anknüpfen an das Alltagsbewusstsein ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der Linkspartei. Sollte dies Lafontaines im Blick haben, wäre das im Grundsatz zu begrüßen. Dafür den Euro zu instrumentalisieren, muss allerdings misslingen und ist eher Dokument der in der gesamten Partei in dieser Frage vorherrschenden Hilflosigkeit.

Der rechtsradikale Front National, der in Umfragen zur zweitstärksten Partei in Frankreich aufgestiegen ist, hat einen neuen Schlachtruf aus der Taufe gehoben: Tous pourris (übersetzt: Alle verfault). Auch die Grillo-Partei in Italien erklärt alle Politiker gleich welcher Couleur für korrupt. Die dramatisch sich vertiefende Kluft zwischen den Menschen und den politischen Parteien (die LINKE nicht ausgenommen) wird in der LINKEN abgesehen von kleinen Zirkeln kaum diskutiert. Mit der Parole, alle Parteien (außer der eigenen) sind Agenten des Kapitals, allein die - unbestritten richtige - Zielorientierung Sozialismus löst die Probleme der Menschen im Hier und Jetzt, kann die Kluft nicht verringert werden.

Horst Arenz ist Abgeordneten-Mitarbeiter in der Bundestagsfraktion DIE LINKE

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