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Für den Markt oder für uns?
Benjamin Bergemann über den Einfluss von Lobbyisten bei der Erarbeitung der EU-Datenschutzreform
In Brüssel entscheidet sich dieser Tage die Zukunft unseres Datenschutzes. Parlament und Ministerrat arbeiten an ihren finalen Positionen zum Vorschlag der EU-Kommission für eine Datenschutzgrundverordnung. Sie soll die geltende Datenschutzrichtlinie von 1995 ablösen. Vor der Sommerpause wollen Rat und Parlament jeweils abstimmen, um danach in Gespräche mit der Kommission zu gehen. Ein Blick auf den Verhandlungsstand zeigt: Obwohl es hier um ihr Grundrecht geht, blieben die Stimmen der Bürger bisher ungehört. »Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts«, versuchen Lobbyisten den Volksvertretern in Parlament und Rat beizubringen - mit Erfolg.
Der Kommissionsvorschlag erfuhr wirtschaftsfreundliche Änderungen, schon bevor er das Licht der Welt erblickte. Die Höchststrafe für Datenschutzvergehen fiel kurze Zeit vor der Veröffentlichung des Vorschlags von fünf auf zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes der Unternehmen. Der Vorschlag, den die Kommission Anfang 2012 vorstellte, ist trotzdem solide. Er orientiert sich an bestehenden europäischen Datenschutzregeln, denen es vor allem an einheitlicher Durchsetzung mangelt. So verstecken sich Facebook und Google hinter der laxen irischen Interpretation der geltenden Richtlinie. Der Wechsel des Instruments von der Richtlinie zur Verordnung soll das ändern: Die Datenschutzgrundverordnung wird wortgleich in allen EU-Mitgliedsstaaten gelten. Wir Bürgerrechtler sind mit dem Kommissionsvorschlag weitgehend zufrieden. Nachbesserungen müssen aber sein. Einige neue Ideen begrüßen wir, zum Beispiel das Recht auf Datenmitnahme. Ein soziales Netzwerk zu verlassen und samt persönlicher Daten zu einem besseren Anbieter zu wechseln, würde möglich.
Aber von Verbesserungen am Kommissionsvorschlag sind wir heute weit entfernt. Was aus den Verhandlungen in Parlament und Ministerrat an die Öffentlichkeit dringt, ist besorgniserregend. Einige konservative und liberale EU-Abgeordnete haben Vorschläge der Wirtschaftslobby eins zu eins in Ausschussabstimmungen eingebracht. Auch in den Verhandlungsdokumenten des Ministerrats finden sich Änderungsvorschläge, die den Entwurf der Kommission ins Gegenteil verkehren. Diese Vorschläge kommen nicht nur von Amazon, Facebook und Co. Auch die Kredit- und Versicherungsindustrie, Direktmarketingverbände und Scoring Dienste, die Aussagen etwa über unsere Bonität treffen, wollen noch mehr vom Datenkuchen abbekommen. Ihre Vorschläge schaffen Schlupflöcher, die Unternehmen von vielen Teilen des Gesetzes befreien würden. Zusammenführung und Weitergabe unserer Daten von sozialen Netzwerken an Versicherungen und weiter zum Arbeitgeber blieben kein böser Traum mehr.
Das Verhalten einiger Volksvertreter schadet nicht nur dem Datenschutz, sondern auch der Demokratie. Bei ihren Bürgern ist die EU ohnehin nicht für Transparenz und Mitbestimmung bekannt. Gegen die Vielzahl von Lobbyisten sind die wenigen Bürgerrechtsorganisationen im Nachteil. Auch unsere Aufrufe zur Bürgerbeteiligung verhallen bislang weitgehend ungehört. Viele Menschen, die im vergangenen Jahr das gefährliche Freihandelsabkommen ACTA zu Fall gebracht haben, zeigen wenig Interesse an der Datenschutzreform. Dabei ist sie für ein freies und offenes Internet genauso wichtig! Im Gegensatz zu ACTA müssen wir die Datenschutzreform nicht verhindern, sondern mitgestalten. Es geht nicht um Ja oder Nein, sondern um 100 Seiten Gesetzestext. Empörung kann dennoch ein guter Auftakt sein. In der gegenwärtigen Dateneuphorie braucht es ein Korrektiv. Die Deregulierung des Finanzsektors ist uns 2008 auf die Füße gefallen. Beim Datenschutz sollten wir die gleichen Fehler nicht wiederholen.
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