Versöhnung an der Unglücksstelle
Eschede: Bahnchef Grube darf bei der Gedenkveranstaltung dabei sein
Vor 15 Jahren, am 3. Juni 1998, geriet der kleine Heide-Ort Eschede in die Schlagzeilen. Auf dem Bahnhof entgleiste der Intercity-Express (ICE) »Wilhelm Conrad Röntgen« München - Hamburg bei einer Geschwindigkeit von etwa 200 km/h. 101 Tote und 105 zum Teil Schwerverletzte machten das Unglück zu einem der schwersten in den vergangenen 60 Jahren. Ursache der Katastrophe war ein abgerissener Radreifen, der den Zug unter einer Betonbrücke entgleisen ließ, worauf diese zusammenbrach und sich die Wagen vor den Brückentrümmern gleich einer Harmonika zusammenfalteten.
In der neben dem Bahnhof eingerichteten Gedenkstätte wird es auch in diesem Jahr eine Gedenkfeier geben. Zum ersten Mal darf ein Vorstand der Deutschen Bahn teilnehmen. Bisher wollten die Opfer und Hinterbliebenen keinen Bahnmanager sehen, zu sehr waren sie über das Verhalten des Konzerns erzürnt. Wie das Eisenbahn-Bundesamt nach dem Unglück ermittelte, riss etwa sechs Kilometer vor Eschede am ersten Wagen der Radreifen an der vorderen Achse. Das Drehgestell besaß gummigefederte Räder. Im Gegensatz zu Vollrädern aus Stahlguss (Monobloc) bestanden sie aus drei mit sehr hoher Hitze zusammengepressten Teilen. Mit dieser Konstruktion sollte das lästige Dröhnen infolge des Vibrierens der Wagenkästen vermieden werden, das entstand, wenn der Zug an seine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h gelangte. Die Räder waren für den ICE ungeeignet, ihnen fehlte die Dauerfestigkeit für hohe Geschwindigkeiten. Inzwischen sind sie gegen Monobloc-Räder ausgewechselt worden.
Die Deutsche Bahn verheimlichte viel mit dem standardisierten Hinweis auf das Ermittlungs- und Gerichtsverfahren und verhielt sich gegenüber den Geschädigten zunächst recht abweisend, eine Entschuldigung lehnte sie aus juristischen Gründen ab. Nun hofften die Betroffenen auf das Gerichtsverfahren und wurden enttäuscht. Bahnchef Hartmut Mehdorn bot ein halbes Dutzend Gutachter aus aller Welt auf, die die Bahn reinwaschen sollten.
Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete, die Räder seien ungenügend erprobt worden. Der Bundesbahn-Vorstand hatte 1992 die Versuche vorzeitig beendet; mit der Begründung, dafür gebe es ja Ultraschalluntersuchungen. Nach dem Unfall stellte sich allerdings heraus, dass diese Untersuchung untauglich war und obendrein oberflächlich ausgeführt wurde.
Auf der Anklagebank saß dann niemand vom Vorstand. Stattdessen mussten sich drei Ingenieure vom Bundesbahn-Versuchsamt und vom Hersteller der Räder verantworten. Den Prozess stellten die in technischen Fragen überforderten Richter des Landgerichts Lüneburg gegen Zahlung von Geldbußen ein. Das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zudem sei nicht mehr gegeben.
Die Nebenkläger hatten daran aber sehr wohl Interesse, schon wegen zivilrechtlicher Ansprüche. Ein Ombudsmann der Bahn musste schlichten. Bahnchef Grube will heute in der Gedenkstätte, wo ein neuer Granitstein enthüllt wird, um Versöhnung bitten. An seiner Seite steht Johannes Ludwig, der damalige Bahnchef, der auch an der Unfallstelle war. Grube weiß, dass der Schmerz tief sitzt. Die materielle Wiedergutmachung, die weit über das hinausging, was Opfer vergleichbarer Unglücke erhalten, lindert ihn nicht.
Die Deutsche Bahn hat mit Nachdruck des Eisenbahn-Bundesamtes ihre Lehren gezogen. Sie verstärkte die Ultraschallkontrollen für ICE. Auf Neu- und Ausbaustrecken gibt es keine Weichen mehr direkt vor Brücken und in Tunneln. Die oft geforderten leichteren Prüfungen von Fahrzeugen durch das Eisenbahn-Bundesamt, passen allerdings nicht zu den Erfahrungen von Eschede.
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