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Die Welt, schematisch
Um den Welträtseln beizukommen, wählt der Mensch oft schematische Darstellungen. Man kann das gut am Aufbau von Nachrichtensendungen erkennen. Jedenfalls alle, die noch wissen, was eine Nachrichtensendung ist.
Zuerst kommt der innenpolitische Hammer oder das, was Nachrichtenredakteure dafür halten. Mitunter aus Not, weil der Markt - um Meldungen und ihre Verbreitung wird eigentlich beinhart gekämpft - gerade nichts Besonderes hergibt. So kann am Morgen eine Äußerung von Frau Leutheusser-Schnarrenberger über ein schwebendes Gesetzesverfahren belästigend ausgebreitet werden, was eine Stunde später für immer erledigt ist. Denn dann hat Angela Merkel über ihren dritten Regierungssprecher dem nächsten kaum noch verwendungsfähigen Minister ihr uneingeschränktes Vertrauen aussprechen lassen. Das gehört nach vorn. Es ist von erfahrungsgemäß kurzer Halbwertszeit. Da muss schon bei der Übermittlung Tempo aufgenommen werden, wie Sportreporter sagen. Aber Sport kommt, wenn überhaupt, später.
An zweiter Position rangieren meist außenpolitische Geschehnisse. Nur in schweren Fällen, wenn der EU-Knatsch den gewohnten Tiefstand noch unterschreitet oder der Papst zurücktritt, gelangen Ereignisse aus der unübersichtlichen Welt an die Spitze der Nachrichten. Und da stehen wir auch schon an den Grenzen der schematischen Weltwahrnahme. Denn natürlich haben Informationen über die Kriege in Afghanistan und Syrien höheren Nachrichtenwert und größere Tragweite als wacklige Erklärungen des dritten deutschen Regierungssprechers. Aber wer will das wahrhaben im Mittelpunkt der Welt, für den viele Deutschland halten? Zumal die Bundesrepublik an den Gemetzeln direkt oder indirekt beteiligt ist. Angeblich nicht, um Kriegspartei zu sein. Ist aber so. Selbst wenn Bundeswehrsoldaten unter den Opfern sind, rückt das nicht zwangsläufig an die vorderste Nachrichtenfront. Es wird Deckung hinter Scheinwichtigkeiten gesucht.
Den dritten Platz im Nachrichtenschema besetzen Vorgänge aus der Wirtschaft. Hier waltet mitunter fragwürdiger Unterhaltungswert, denn die Meldungen sind oft kriminell intendiert. Was nicht zum Nachteil der Realität interpretiert werden kann. Preisabsprachen im Kartoffel-, Stahl- und Kaffeekartell. Dafür Strafgelder, die längst hunderte Male reingeholt worden sind. Aber für Zusammenhänge ist kein Platz. Vielmehr für statistische Mitteilungen, die oft genug besagen, woanders sähe es viel schlechter aus als bei uns. Dazu noch ein Statement von P. Rösler, der denkt, es sei alles sein Werk und das der FDP.
Rang vier der Nachrichtenordnung ist nicht sicher vergeben. Meist werden dort Katastrophen aller Art vermeldet: Erdbeben, Hochwasser, Flugzeugabstürze, Bergwerksunglücke, Schiffuntergänge. Dies nun unter besonderer Berücksichtigung deutscher Opfer. Manchmal kommen aber tote Dichter, Schauspieler, Regisseure, überhaupt tote Öffentlichkeitsarbeiter und ihre weiblichen Pendants dazwischen. Sie rücken dann als Halbkatastrophen vor die größeren Unglücke. Womit auch das Rubrum Kultur abgedeckt wäre. Zum Schluss der Sport. Da muss aber ein Bundesligatrainer entlassen sein oder Franck Ribéry das Training abgebrochen haben.
Viele wollen nur noch das wissen und holen es sich aus dem Netz. Wichtige Nachrichten über den Zustand der Welt haben keine gute Prognose. Wenig unterhaltsam. Den einen zu schematisch und mit zu vielen Auslassungen, den anderen nicht ausfallend genug, um Interesse zu wecken.
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