Wir sind ein Ausbildungsland

Leo Windtner, Fußballverbandspräsident Österreichs, kritisiert Ausverkauf der Talente

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.
LEO WINDTNER ist seit 2009 Präsident des Österreichischen Fußball-Bundes. Der 62-Jährige spricht vor dem WM-Qualifikationsspiel am Freitag in Wien gegen Schweden über die Entwicklung des österreichischen Fußballs, den Verlust von Talenten, den stolzen Blick nach Deutschland und den Hype vor dem Showdown gegen die DFB-Elf im September.

nd: Die österreichische Nationalelf hat zuletzt 1998 in Frankreich an einer WM teilgenommen. Wie groß sind die Hoffnungen vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden, zumindest über den Umweg der Playoff-Runde noch nach Brasilien zu kommen?
Windtner: Die Teilnahme an der WM 2014 ist ein hoch gestecktes Ziel, das schwierig zu erreichen ist. Dafür gibt es aber keine zwingende Vorgabe. Anders ist es bei der EM 2016 in Frankreich. Unter die besten 24 Mannschaften Europas zu kommen, müssten wir schaffen - das ist kategorisch die Absicht.

Wer sich mit der Entwicklung des österreichischen Fußballs seit der Austragung der EM 2008 beschäftigt, spürt, dass sich Einiges zum Besseren gewendet hat, oder?
Wir sind ein Ausbildungsland und haben seitens des Verbandes die richtigen Weichen gestellt. Wir führen das »Projekt 12« fort, das österreichische Talente zwischen 15 und 21 Jahren individuell fördert und für das erneut Franz Beckenbauer als Botschafter gewonnen werden konnte. Das Konzept basiert auf den Bereichen Sportmedizin, Sportpsychologie, sichert individuelles Training und beinhaltet eine Leistungsüberwachung. Wir sind mit unserer U17 als eine von sechs europäischen Mannschaften im Herbst bei der WM in Abu Dhabi vertreten, während so große Fußballnationen wie Spanien, Deutschland oder England dort fehlen.

Die besten Spieler in diesem Alter werden oft schon gar nicht mehr in Österreich ausgebildet. Es gibt eine Reihe von jungen Talenten, die in den deutschen Bundesliga-Klubs beheimatet sind.
Mir ist vor der Zukunft nicht bange. Kevin Stöger und Raphael Holzhauser vom VfB Stuttgart, Roman Kerschbaum vom 1. FC Nürnberg, Alessandro Schöpf und Kevin Friesenbichler vom FC Bayern II oder Michael Gregoritsch, nun beim FC St. Pauli, sind nur einige Beispiele: Hier stehen genug Spieler schon in den Startlöchern. Ein wenig Sorge bereitet uns tatsächlich, dass die Toptalente immer früher zu einem ausländischen Verein wechseln.

Und das ist nicht gut?
Der Finanzfluss bestimmt den Spielerfluss, und die großen Klubs locken die besten jungen Spieler immer früher. Das betrifft nicht nur österreichische Spieler, sondern selbst niederländische Talente. Es gibt aber keine goldene Regel dafür, wann solche Spieler das Land verlassen, in dem sie ausgebildet wurden. Unsere heimische Bundesliga würde es stärken, wenn sie wenigstens bis über 20 hier spielen würden.

Hat ein David Alaba, der als österreichischer Nationalspieler mit dem FC Bayern die Champions League gewann, Vorbildwirkung?
David Alaba ist mit 16 Jahren von der Wiener Austria zum FC Bayern gewechselt. Er gibt ein Musterbeispiel dafür ab, dass er seine Wurzeln nie vergessen hat. Er tut alles für seine Karriere und bekennt sich weiterhin zu Wien und Österreich - und bewahrt auch eine Portion Demut. Es ist doch bezeichnend, dass er an manch einem Wochenende in den Zeitungen so in den Himmel gehoben wird, wie das in Österreich nur Skistars kennen. Mit deren Popularität kann es David schon aufnehmen, das zeigen allein seine 360 000 Facebook-Freunde.

Die Stärke der Bundesliga strahlt also gerade immens nach Österreich aus. Sind die früheren Neidgefühle also passé?
Die Spieler aus der Bundesliga werden Woche für Woche auf höchstem Niveau gefordert, und sie bilden das Rückgrat unserer Mannschaft. Die Begierde ist jedes Wochenende groß, etwas über die Bundesliga zu erfahren. Dort spielen schließlich keine Mitläufer aus Österreich. Deswegen empfinden wir großen Stolz, wenn wir unsere Spieler dort erleben.

Marcel Koller, Österreichs Nationaltrainer, ist Schweizer und hat auch eine Vergangenheit in der Bundesliga. Sie haben ihn damals gegen etliche Widerstände speziell der Presse durchgeboxt.
Ja, das stimmt. Er hat in kurzer Zeit geschafft, hier Strukturen zu prägen. Er ist professionell und präzise und gibt den Spielern eine klar erkennbare Linie vor. Ich erkenne einen positiven Spirit.

Reicht der aus, um am Freitag die Schweden zu besiegen?
Wir sind klarer Außenseiter. Aber es gibt einen fantastischen Hype, das Nationalteam ist und bleibt das Lieblingsteam Österreichs. Das Ernst-Happel-Stadion ist seit Wochen ausverkauft. Und die 6000 Tickets für das Auswärtsspiel in München im September waren binnen anderthalb Stunden veräußert. Wir müssen versuchen, diese Begeisterung positiv umzusetzen.

Interview: Frank Hellmann

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