Schlamperei bei NSU-Aufklärung
Bundestagsausschuss tritt erneut in Beweisaufnahme ein / Anwälte haben Fragen an »Kapuzenmann«
Mehmet Daimagüler, Anwalt der Nebenklage, ist empört: Nach eineinhalbjähriger Ermittlungsarbeit erfahre man durch die Aussagen eines Angeklagten, dass es womöglich einen bislang unbekannten Anschlag gegeben hat, der vom NSU-Terrortrio ausgeführt wurde.
Der Anwalt meint die Erklärung des Angeklagten Carsten Schultze. Der behauptet, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten ihm bedeutet, 1999 in Nürnberg eine »Taschenlampe« abgestellt zu haben. In der Tat war in einem Lokal eine Rohrbombe explodiert, die äußerlich einer Taschenlampe glich.
Als Medien über die erneute Ermittlungspanne berichteten, empörte sich Chefankläger Herbert Diemer: Weil es sich um eine Rohrbombe handelte, hätte sich ein Bezug zum NSU nicht unbedingt aufgedrängt. Absurd! 1998 hatte man in Jena die Garagenwerkstatt des späteren NSU-Trios mit 1,4 Kilogramm TNT samt fertiger Rohrbomben ausgehoben. Danach waren Böhnhardt, Mundlos und die nun angeklagte Zschäpe abgetaucht.
Bei der gestrigen Verhandlung in München klangen die an den Vortagen gemachten Aussagen des Angeklagten Schultze nach. Leider ging man bislang nur verhalten dessen unwahren oder zweifelhaften Einlassungen nach. Manche »Irrtümer« liegen auf der Hand. Zudem hatte der selektiv Geständige einen gehörigen Teil Schuld auf das »Konto Ralf Wohlleben« gebucht. Anwälte von Nebenklägern, vor allem aber die von Wohlleben haben zahlreiche Fragen. Schultze aber begann am Nachmittag zu mauern: Er habe sich hier »nackig gemacht«, bevor er Fragen der Wohlleben-Anwählte beantworte, müsse der einstige Neonazi-Kumpan selbst Angaben zur Sache machen.
Unterdessen räumte die Nürnberger Staatsanwaltschaft ein, dass womöglich etwas schiefgelaufen sei. Auf Geheiß des Generalbundesanwaltes hatte man im März 2012 einen möglichen Bezug der Kneipenexplosion zur NSU-Mordserie überprüft. Man habe die Namen von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe sowie die bekannten Aliasnamen des Trios mit einer Datenbank der Ermittlungsbehörden abgeglichen. Doch da die offenbar keine Visitenkarte neben ihre Bombe abgelegt hatten, kam man mit dieser »Ermittlungsmethode« nicht zum Ziel.
Diese Arbeitsweise reiht sich ein in andere vergebene Aufklärungsmöglichkeiten. Gestern musste auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages darüber beraten, ob man die bereits geschlossene Beweisaufnahme noch einmal öffnet. Eigentlich ist man gerade beim Formulieren der Seite 1200 des Abschlussberichtes. Grund für den Neustart sind Aussagen der einstigen V-Frau des Verfassungsschutzamtes von Baden-Württemberg. Petra Senghaas (alias »Krokus«) behauptet, die Behörde schon 2007 über mögliche Zusammenhänge zwischen dem in Heilbronn verübten Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter, dem Mordversuch an derem Kollegen A. sowie der regionalen Neonaziszene informiert zu haben.
Die V-Frau ist auch sicher mitgeteilt zu haben, dass die Zwickauer Terrorgruppe oder einzelne Mitglieder im Gebiet von Hohenlohe unterwegs waren. Auch von Hohenloher Neonazis als Mittätern oder Mitwissern beim Polizistenmord war die Rede. Sicher ist, dass »Krokus« vom Stuttgarter Landesamt damals als glaubwürdig eingestuft worden ist. Wieso ergab sich dann die Spur zum Terrortrio erst vier Jahre später durch das Auffliegen des NSU in Eisenach? Im Wohnwagen, in dem die männlichen Zellenmitglieder am 4. November 2011 tot aufgefunden worden sind, entdeckte man die Dienstwaffen der beiden Polizisten. Aus dem Brandschutt der zweiten Zwickauer Trio-Wohnung siebte man die beiden in Heilbronn benutzten Tatwaffen heraus.
Gestern wurde in geheimer Sitzung beschlossen, dass der NSU-Untersuchungsausschuss am 24. Juni abermals versuchen wird, offene Fragen zum »Fall Kiesewetter« zu klären.
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