NSU-Prozess wird in München fortgesetzt

Waffenbeschaffer noch immer nicht angeklagt

  • René Heilig
  • Lesedauer: 7 Min.

NSU-Prozess: Waffenbeschaffer noch immer nicht angeklagt

München (nd-Heilig). Für den Chefankläger im NSU-Prozess, Herbert Diemer, brachte die heutige Verhandlung vor dem Oberlandesgericht in Münchner NSU-Prozess „keine wesentlichen neuen Erkenntnisse“. Er informierte darüber, dass man ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Beate Zschäpe eröffnet habe. Grund sind Aussagen des Angeklagten Carsten Schultze, der bereits in der vergangenen Woche über einen Bombenanschlag im Jahre 1999 in Nürnberg berichtet hat. Der Anschlag war bislang nicht der NSU-Gruppe zugeordnet worden. Diemer bestätigte, dass man alle Akten von der Nürnberger Staatsanwaltschaft übernommen habe und das Bundeskriminalamt mit den Ermittlungen beauftragt habe.

Der NSU-Prozess in den Medien
 

NSU-Prozess: Die Protokolle von NSU Watch

Das NSU Watch Blog veröffentlicht auf seiner Webseite www.nsu-watch.info Protokolle der einzelnen Prozesstage am Oberlandesgericht in München auf deutsch, englisch und türkisch.

Protokoll 1. Verhandlungstag vom 6. Mai
Protokoll 2. Verhandlungstag vom 14. Mai
Protokoll 3. Verhandlungstag vom 15. Mai
Protokoll 4. Verhandlungstag vom 16. Mai
Protokoll 5. Verhandlungstag vom 4. Juni
Protokoll 6. Verhandlungstag vom 5. Juni
Protokoll 7. Verhandlungstag vom 6. Juni
Protokoll 8. Verhandlungstag vom 11. Juni
Protokoll 9. Verhandlungstag vom 12. Juni
Protokoll 10. Verhandlungstag vom 13. Juni
 

Medienschau zum NSU-Prozess

Der NSU-Prozess wird von einer enormen medialen Aufmerksamkeit begleitet. Hier finden Sie eine Übersicht über die wichtigsten Blogs, Liveticker, interaktiven Grafiken und Dossiers zum Thema "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und zum Prozess am OLG München. Mehr

 

 

 

 

 

Bei der Verhandlung wurde auch die Rolle von Andreas S. aus Jena näher beleuchtet. Nachdem die drei untergetauchten Neonazis eine Waffe verlangt hatten, schicktet der jetzt auch angeklagte Ralf Wohlleben seine “rechte Hand” Carsten Schultze zu S. in den Szeneladen „Madley“, um eine Pistole zu bestellen. S.lieferte prompt – die Ceska mit Schalldämpfer und reichlich Munition.

Dass S. nicht ebenso wie Schultze wegen Beihilfe zu neunfachem Mord angeklagt ist, erklärte Diemer so. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung habe man in ihm einen Zeugen und noch keinen Grund gesehen, ihn zu beschuldigen. Zudem sei ja nicht sicher, dass er gewusst habe, für wen und welchen Zweck er die Waffe besorgen sollte.

16.37 Uhr: Die Sitzung ist für heute geschlossen, sie wird am Mittwoch fortgesetzt.

15.30 Uhr: Die nächste Unterbrechung: Vertreter der Nebenklage und die Verteidigung von Zschäpe und Wohlleben streiten sich um die Art und Weise, wie Fragen an den Angeklagten Carsten Schultze zu formulieren sind. Es geht darum, welches Ansehen die abgetauchten Jenaer Bombenbauer in der regionalen rechtsextremistischen Szene genossen haben. Schultze hatte erklärt, dass sie bereits abgetaucht waren, als er zur Szene gestoßen ist. Die Drei gehörten “zu den Älteren”, denen man mit Respekt begegnet ist. “Wenn man im Auto fuhr, saßen die Älteren vorne und die Jüngeren hinten.” Zu den Älteren, die man respektiert habe, hätten auch Ralf Wohlleben und André Kapke gehört. Kapke sei zudem auch als “cholerisch” verschrien gewesen.

13.35 Uhr: Die Verhandlung wird fortgesetzt. Schultze soll seine Funktion als Stützpunktleiter der JN in Jena erklären. Er wollte Jugendliche für die “Sache” gewinnen. Er tat sich schwer, die “Sache zu erklären. “Nationalbewusstsein war dabei”, “gegen Kapitalismus” und diese Themen waren das, sagte er und blieb wieder merkwürdig unscharf.

13.30 Uhr: Noch ist Pause beim Münchner NSU-Prozess. Der Begriff passt angesichts der auch in München herrschenden Hitze besser auf die Auszeit, die der Vorsitzende Richter Manfred Götzl als “Mittagspause” bezeichnet hat. Der Vormittag brachte indessen nur wenige “heisse” Erkenntnisse.

Das Fragerecht lag auf Seiten der Nebenklage-Anwälte, sie nutzten es bislang nicht sehr konzentriert. Zu Wort gemeldet hatten sich die Anwälte der Familie Kubasik. Mehmet Kubasik war das achte Mordopfer der NSU-Bande. Er hatte seinen Kiosk in Dortmund. Die Verbindungen der sogenannten Zwickauer Zelle nach Nordrhein-Westfalen sind bislang nur schemenhaft aufgeklärt.

Ein Brief, den Beate Zschäpe unlängst aus der Haft an einen ebenfalls einsitzenden Neonazi-Aktivisten aus Dortmund geschrieben hat, machte die Lücken erneut deutlich. Dabei könnten neue Erkenntnisse möglicherweise auch dazu beitragen, beim Mord an Halit Yosgat, dem Besitzer eines Internetcafès in Kassel klarer zu sehen. Er war am 4. April 2006 - nur zwei Tage nach Kubasik – umgebracht worden.

11 Uhr: Die erste Verhandlungspause. Die Verteidiger von Carsten Schultze hatten sich zu Wort gemeldet, ihrem Mandanten sei “noch was eingefallen”. Er erinnerte sich, dass er nach seinem Ausstieg aus der Neonazi-Szene von ehemaligen Kameraden gefragt worden sei, ob er Kontakt zu den drei untergetauchten Jenaer Bombenbastlern gehalten habe.

Unter anderem habe Daniel S. gefragt. Auch der sei ein Aussteiger gewesen, sein Umzug nach Berlin war vom Bundesverfassungschutz bezahlt worden. Auch mit Sandro T. habe er darüber gesprochen. Der habe wissen wollen, ob Tino Brandt über den Kontakt zwischen Schultze und dem Trio Bescheid gewusst habe. Als Schultze das bejaht hatte, äußerte T. seinen Unmut. Vermutlich, weil er inzwischen wusste, dass Brandt V-Mann des Thüringer Landesamtes war.

Es folgte die Fortsetzung der Befragung durch Vertreter der Nebenklage. Sie war wenig konzentriert, Schultze hatte wenig Mühe, die Fragen zu beantworten: In der Regel konnte er sich nicht erinnern. Er wollte auch nicht bestätigen, dass er für eine gewisse Zeit, so etwas wie die “rechte Hand” von Ralf Wohlleben gewesen sei. Das hatte der ebenfalls angeklagte Holger Gerlach bei einer polizeilichen Vernehmung behauptet.

9.45 Uhr: Kameras klicken, die Angeklagten treten ein. Zschäpe nimmt ihre Fotografen-Grundhaltung ein: Rücken zu den Objektiven. Mangels verwendbarer Motive nehmen sich die TV-Kameraleute gegenseitig auf. Für Zwischenschnitte mag das reichen. Wenig später erscheinen die Richter. Der Vorsitzende Manfred Götzl fragt die Anwesenheit ab. Zehn vor zehn: das Verfahren wird fortgesetzt.

9.25 Uhr: Kurz vor halb zehn im großen Verhandlungssaal des Oberlandesgerichtes in München. Die Verteidiger packen Akten und Laptops aus, erwarten ihre Mandanten. Auch wenn die Übertragungswagen und die Kamerateams vor dem Justizgebäude, die zu Prozessbeginn reichlich aufgestellt waren, verschwunden sind - noch ist die Pressetribüne gut gefüllt. Doch es ist schon absehbar, dass sich Redaktionen, auch jene, die sich über das Akkreditierungsverfahren erregt haben, mit Zusammenfassungen der Agenturen oder der Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft zufrieden geben.

Auch die Emporenseite, auf der die »normale« Öffentlichkeit Plätze hat, ist besetzt. Unter den heute vor allem jungen Leuten sind auch wieder Typen aus der der »Szene«. Die zeigt demonstrativ Flagge, ist weiter solidarisch mit den Angeklagten. Am Wochenende wurden beim sogenannten Thüringentag der Neonazis wieder Spenden gesammelt. Insbesondere »Wolle« (Ralf Wohlleben) zieht die Sympathie der Kameraden auf sich. Der einstige NPD-Funktionär aus Jena – so wurde in den vergangenen zehn Verhandlungstagen deutlich – war offenbar eine Art Regisseur der NSU-Unterstützung. Der Mitangeklagte Carsten Schultze hat ihn mehrfach schwer belastet.

8.00 Uhr: Am Dienstag wird vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier mitangeklagte Helfer des rechtsextremistischen Mördernetzwerkes fortgesetzt. Voraussichtlich wird der Angeklagte Carsten Schultze weiter vernommen. Er hatte zugegeben, dem Terror-Trio die Tatwaffe besorgt zu haben. Zudem brachte er die Ermittler auf eine neue Spur: Danach soll das untergetauchte Jenaer Trio 1999 eine Rohrbombe in einem Nürnberger Lokal abgelegt haben. Eine Reinigungskraft war bei der Explosion des taschenlampenähnlichen Gegenstandes verletzt worden.

Das 13,5 mal zwei Zentimeter große, mit Sprengstoff gefüllte Eisenrohr hatte einen Konstruktionsmangel, daher konnte es keine Splitterwirkung entfalten. Die Verletzungen wären andernfalls umso größer gewesen. Die Bundesanwaltschaft geht deshalb davon aus, dass bei dem Anschlag der türkische Wirt einer Nürnberger Kneipe getötet werden sollte. Gegen die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Zschäpe, ist deshalb ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.

Laut Staatsanwaltschaft Nürnberg befinden sich noch heute Teile der Bombe in der Asservatenkammer. Sie werden derzeit auf DNA-Spuren und Fingerabdrücke untersucht. Die Nürnberger Polizei hatte unmittelbar nach der Tat nichts entdecken können. Für die Ermittler war kein politischer Hintergrund erkennbar. Man recherchierte daher gegen den Wirt und dessen Putzhilfe und vermutete, dass beide in Drogengeschäfte verwickelt seien. Diese Art der Ermittlungen, bei denen Opfer zu Verdächtigen wurden, ist auch bei den anderen acht Morden an türkischen Geschäftsleuten und einem griechischen Kleinunternehmer zu beobachten.

Aus der unmittelbaren Zeit nach diesem Anschlag stammt die Aussagen eines Neonazis aus dem Umfeld des Jenaer Trios, wonach Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe sich nicht stellen wollen. Das zu erwartende Strafmaß sei ihnen zu hoch, weil sie sich schon zu tief in terroristische Taten eingelassen hätten. Offenbar wusste man im Umfeld recht genau, was das Trio trieb. So stellt sich die Frage umso schärfer, ob die späteren NSU-Mitglieder wirklich so im Geheimen gewirkt haben, wie die Ermittler es heute behaupten.

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