Doping war fast schon Berufsethos

Niederländische Wahrheitskommission liefert erschreckendes Bild über Ausmaß der Epo-Ära im Radsport

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.
Die niederländische Antidopingagentur ADA forderte bis zum Stichtag 1. April alle einheimischen Radprofis, Rennstallmanager und sonstige Angestellte auf, Aussagen über ihren eigenen Dopinggebrauch in der Vergangenheit zu tätigen. Der Bericht weist nun massive Unterschiede zu damaligen Testergebnissen auf.

Den Radsportlern wurden vor der Wahrheitskommission Anonymität und Straferlass zugesichert. Die so gewonnenen Erkenntnisse stellte die ADA am Montag vor. »Es bestätigt sich der Verdacht, dass der Großteil der Radprofis und auch der holländische Teil davon in der Hochphase des Epo-Missbrauchs (späte 90er bis frühe Nullerjahre) dopte. Es ist schwer, Prozentzahlen abzugeben, aber in unseren Augen liegt die Wahrheit in einem Bereich von 80, 90, vielleicht sogar 95 Prozent«, hieß es in der Presseerklärung.

Der Bericht konstatierte eine Art ungeschriebene Berufspflicht zum Doping. In den Augen der Fahrer sei Doping »entscheidend für den Erfolg ihrer Radsportkarriere gewesen und notwendig, um den Mindesterwartungen des Teammanagments zu entsprechen.« Marcel Wintels, Präsident des niederländischen Radsportverbands, wertete den Bericht als »ehrlichen, realistischen, aber auch schmerzhaften Einblick, wie weit verbreitet Doping im Radsport war.«

Die Zahlen bestätigen damit die eher düsteren Ahnungen mancher Beobachter des Profiradsports. So werden etwa die massiven Mobbingaktivitäten eines Großteils des Pelotons gegen Fahrer erklärlich, die Doping offen ablehnten oder sich nach ihrer Überführung zu Geständnissen durchgerungen hatten. Nachdenklich machen sollten die Zahlen der Dopingjäger. Positive Dopingkontrollen lagen in dieser Zeit im Promillebereich. Und selbst aus den Langzeitstatistiken der Analytik ließ sich bisher nur ein Dopingmissbrauch von ungefähr zehn Prozent aller Radprofis herauslesen.

Laut einer Studie des Antidopingbeauftragten der UCI, Mario Zorzoli, aus dem Jahr 2010 wiesen bis zur Einführung des Epo-Tests im Jahre 2002 - dem Ende der Hochdopingphase - lediglich zehn bis elf Prozent aller Blutproben einen stark erhöhten Gehalt von Retikulozyten auf. Das ist ein Hinweis auf Epo-Missbrauch. Für die Jahre danach belegen die Daten einen Wechsel hin zum Doping durch Bluttransfusionen. Dies schlägt sich aber nur in sechs bis zehn Prozent der Blutproben nieder. Das zeigt, wie gut Doper den Zeitpunkt von Epo-Einnahmen und Bluttransfusionen auf die Kontrollfenster abstimmen konnten.

Für die unmittelbare Gegenwart gab die Untersuchungskommission nur eine vorsichtige Einschätzung. Sie ging von einer Abnahme von Doping aus, warnte aber auch: »Es ist vielleicht nur eine Sache der Zeit, bis etwas Neues auftaucht, das effektiv und nicht nachweisbar ist.« Die Explosivität einer neuer Generation von Bergfahrern, die bei Gewichtsreduzierung noch an Kraft zulegen, sorgt auch in Fachkreisen für Erstaunen.

Ex-Profi Michael Boogerd, einer der wenigen öffentlich bekannten Zeugen vor der niederländischen Wahrheitskommission, wies auf Leistungen nach dem Jahr 2009 hin, »bei denen sich mir die Augenbrauen hoben«, sagt er. Die Leistungen passen gut zu verhältnismäßig neuen Mitteln wie Aicar und GW1516. Bei diesem Präparat gab es in der aktuellen Saison erste positive Tests bei Radprofis.

Für den Nachweis von Aicar, einer auch vom menschlichen Körper produzierten Substanz, existiert jedoch noch kein Verfahren, das gerichtsfest die Einnahme belegen kann. Die nächste Wahrheitskommission darf hier übernehmen.

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