Protestwelle rollt durch Brasilien

Acht Städte kündigen Fahrpreissenkungen an / Regierung zeigt Verständnis

  • Andreas Behn, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Proteste in Brasilien gehen weiter. Die brasilianische Regierung hat inzwischen die Nationalgarde in fünf der sechs Austragungsstädte des Fußball-Confed-Cups entsandt.

In Rio de Janeiro war es am Dienstag ruhig. Schauplatz der größten Demonstration war die Metropole São Paulo: Dort forderten 50 000 Menschen die Rücknahme der Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr, die die Massendemonstrationen seit vergangenen Donnerstag ausgelöst hatten. Zu Wochenbeginn waren landesweit über eine Viertelmillion Menschen auf den Straßen.

Der Protest richtet sich mittlerweile gegen eine Vielzahl von Missständen: fehlendes Geld für öffentliche Dienstleistungen, Korruption und Vetternwirtschaft sowie Geldverschwendung - insbesondere im Zuge der sportlichen Großveranstaltungen Fußball-WM und Olympische Spiele.

In São Paulo endete die zunächst friedliche Demonstration in Auseinandersetzungen mit der Polizei. Einige versuchten, das Gebäude der Stadtregierung zu stürmen, andere warfen Fensterscheiben in der Geschäftsstraße Avenida Paulista ein. Wie am Montag setzte die Polizei auf Deeskalation, nachdem vergangene Woche Hunderte Protestler und viele Journalisten von Gummigeschossen verletzt worden waren. Der Groll auf die notorisch brutalen Sicherheitskräfte war einer der Auslöser der Massenproteste, die Brasilien in Atem halten.

Die Regierung kündigte an, Spezialeinheiten der Bundespolizei in die Austragungsorte des Confed-Cups zu entsenden. Vorsichtshalber erklärte der Justizminister, der Auftrag der Truppe sei »vermittelnd und nicht repressiv«. Erstmals war die Bundespolizei am Wochenende beim Spiel im legendären Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro im Einsatz und hielt den Protest mit Gummigeschossen auf Distanz.

Präsidentin Dilma Rousseff hat am Dienstag erstmals öffentlich zu der überraschend heftigen Protestwelle Stellung genommen. »Die großartigen Demonstrationen stellen die Kraft unserer Demokratie unter Beweis«, sagte sie während eines Kurzbesuchs in São Paulo. »Die Stimmen der Straße müssen gehört werden, es ist eine Absage an Korruption und den falschen Umgang mit öffentlichen Geldern.«

Mittlerweile kann die Bewegung erste Erfolge verbuchen. Acht Städte kündigten an, die Busfahrpreise leicht zu senken, darunter die Großstädte Recife und Porto Alegre. Auch São Paulos Bürgermeister Fernando Haddad geht auf die Bewegung zu und lud die Organisatoren der Proteste zu Verhandlungen ein. Er wolle prüfen, ob die Erhöhung der Fahrpreise um gut sieben Prozent rückgängig gemacht werden könne.

Sprecher der Bewegung erklärten, der Protest werde erst ruhen, wenn die Erhöhung zurückgenommen wurde. Sie machten aber auch deutlich, dass die Protestwelle längst übergeschwappt ist und es mittlerweile um viel mehr geht als nur den miserablen öffentlichen Verkehr, der schon immer von korrupten Privatunternehmen dominiert wird.

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