Jäger und Investoren bedrohen Tiere und Wälder
Ökotourismus: Im rumänischenTranssilvanien kann man Wölfe und Bären beobachten
Ein fernes Heulen zerreißt die Nacht. Plötzlich und unerwartet. Der Leitwolf ruft, die Meute folgt. Heute Nacht wird Blut fließen. Wie eh und je in Transsilvanien.
»Sie werden kommen, schon bald«, erklärt Hermann Kurmes. Der 57-jährige Siebenbürger Sachse weiß, wovon er spricht. Er ist Experte in Sachen Großwild und engagiert sich seit Jahren für Wolf und Bär. Kurmes betreibt eine kleine Öko-Pension im Gebirgsdorf Măgura und bietet Tierbeobachtungen im Nationalpark Piatra Craiului an. Ein nicht ungefährlicher Job.
»Die Tiere sind jetzt ausgemergelt, und die Wölfinnen haben vor kurzem ihre Welpen zur Welt gebracht. Die Rüden müssen Beute machen. Koste es, was es wolle. Sonst stirbt das ganze Rudel.« - Ob sie bis ins Dorf kommen? Vermutlich ja, wahrscheinlich sogar. Wann? Irgendwann im Schutze der Nacht. Die Beute? Ein Hund, ein Schaf, wer weiß. Wir lauschen in die sternklare Nacht. Das Jagdgeheul verstummt. Wir warten - allerdings umsonst. Wölfe zu Gesicht zu bekommen, ist ein echter Glücksfall.
Nur wenn ein Wolfsrudel Schafe reißen wolle, nehme es die Konfrontation mit dem Menschen in Kauf, erklärt Hermann Kurmes. Und fügt an: »Ich kann die Wut der Bauern verstehen. Im letzten Winter haben Wölfe und Bären allein hier im Dorf knapp zwei Dutzend Schafe, eine Kuh, ein Kalb, einen Esel und ein Pferd gerissen.«
Nachts holen sich die Wölfe immer mal wieder einen Hund von der Kette. Hermanns deutsche Frau Katharina schenkt uns eiskalten Ţuică ein. Diesen Schnaps brennen die Kurmes selber, im Spätsommer, wenn die Zwetschgen richtig reif sind. Er ist wie Feuer im Hals und passt ganz gut zu diesem rauen, manchmal mystisch anmutenden Landstrich.
Die urwüchsige Gegend und die einsamen, vergessenen Dörfer geben eine perfekte historische Kulisse ab. Viele Höfe - und deren Bewohner - sehen aus, als gingen sie direkt auf die Zeit der Schöpfung zurück. Kein Wunder also, dass die deutschen Brachialrocker von Rammstein ihren Videoclip »Rosenrot«, eine eigenwillige Adaption von Goethes »Heidenröslein«, ausgerechnet in Măgura produzierten. Auch Hollywood ist ab und zu hier. Das amerikanische Bürgerkriegsepos »Cold Mountain« mit Nicole Kidman, Jude Law und Renée Zellweger entstand zu großen Teilen in dieser Gegend.
Warum es denn gefährlich sei, sich in einem staatlichen Nationalpark in der EU für den Tierschutz zu engagieren, wollen wir wissen. Weil Karnivoren, also Fleischfresser, sowie ihre menschlichen Beschützer genau drei Feinde haben, erfahren wir: Bauern, Jäger und Investoren. Transsilvanien, das seit der deutschen Besiedlung auch Siebenbürgen genannt wird, zählt zu den schönsten und ursprünglichsten Landschaften Rumäniens: schroffe Gebirgsgipfel, dichte Urwälder, fruchtbare Täler, frische Luft und glasklares Wasser.
Nirgendwo in Europa leben mehr Braunbären. Dazu kommt eine nur sehr dünne Besiedlung. Die deutschen Einwanderer verewigten sich mit ihrer Sprache und den einzigartigen Kirchenburgen. Doch es war der irische Schriftsteller Bram Stoker, der Transsilvanien mit einer Romanfigur weltberühmt machen sollte: Dracula! Als Vorbild diente ihm der rumänische Volksheld Vlad Dracul, der das Land einst von den Türken befreite.
Blutig war die wechselvolle Vergangenheit immer wieder. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Menschen hungerten, wurde alles, was zum Überleben dienen konnte, gnadenlos gejagt und abgeschossen. Vor allem Bären und Wölfe. So zählte man zur Mitte des letzten Jahrhunderts gerade noch 860 Bären in Siebenbürgen. Doch dann entdeckte der damalige Staatschef Ceausescu sein Herz für Meister Petz und ließ diesen unter Strafandrohung schützen - um ihn anschließend sich selbst vor die Flinte treiben zu lassen. Weil er gesellig war, jagte er gerne auch mit Staatsgästen. Wegen akuten Devisenmangels wurden ab den 1970er Jahren Abschusslizenzen an den Westen verscherbelt, so dass der Tierbestand, welcher sich vorübergehend erhöht hatte, erneut abnahm.
Was einst die »Landesfürsten« und deren Freunde veranstalteten, erledigen heute die Reichen und Einflussreichen aus Rumänien und Westeuropa. Allen voran Ion Tiriac, früher Tennisprofi und heute Großwildjäger. Zusammen mit Aristokraten und anderen einflussreichen Freunden aus dem westeuropäischen Establishment zieht der Lebemann regelmäßig zur Jagd. Weil diese kapitalkräftigen Sportsfreunde mit Vorliebe edle Tiere erlegen, leidet dem Vernehmen nach bereits der genetische Pool, und auch die Fertilität dieser Tiere nimmt ab. Natürlich lässt sich so etwas nicht einfach beweisen. Doch Fakt ist, dass die Bärenpopulation von stattlichen 8000 Stück zu Beginn der 1990er Jahre mittlerweile auf rund die Hälfte geschrumpft ist. Gegen die mächtigen Männer können die bescheidenen Tierschützer kaum etwas ausrichten.
Ein Filz aus Politik und Geld will obendrein in der Region bauen. Die wollen nicht kleckern, sondern klotzen. Auch im Nationalpark Piatra Craiului. Das ist die größte Gefahr für Wolf und Bär, so Katharina Kurmes: »Vielleicht beginnen diese Menschen irgendwann zu begreifen, dass wir alle am meisten gewinnen, wenn sie ihre Planierraupen einfach unten in der Stadt lassen.« Denn wenn erst einmal Luxusdomizile in die Täler und Autopisten durch die Schluchten betoniert werden, ist das wilde Herz des Alten Kontinents endgültig zerstört.
- Infos: Rumänisches Touristenamt, Reinhardtstr. 47, 10117 Berlin, Tel: (030) 400 55-904, Fax: -906, E-Mail: info@rumaenien-tourismus.de, www.rumaenien-tourismus.de
- Tierbeobachtungen: Ein lokaler Anbieter ist Carpathian Tours; 1 Wo. HP inkl. geführte Tierbeobachtungen 685 €, www.cntours.eu; alternativ kann man das Pauschalarrangement »Von Siebenbürgen zu den Moldauklöstern« von Gebeco buchen, 9 Tage ab 1095 € inkl. Flug. Tel.: (0431) 544-60, www.gebeco.de
- Literatur: Birgitta G. Hannover Moser, »Rumänien«, 2012, Trescher Verlag, Berlin, 19,95 €; »Sicherheit in Bärengebieten«, 2002, Reise Know-How Verlag, Bielefeld, 8,90 €
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