Keine Papiere, keine Versicherung, kein Zugang
Über Deutschlands Krankenversicherungen: Fakten zur Gesundheitsdebatte - Teil 7 der nd-Serie
»In ein paar Jahren wird das Gesundheitswesen unbezahlbar sein«, droht uns die veröffentlichte Meinung seit Jahren. Und warum? Es liegt angeblich am demografischen Wandel, am medizinisch-technischen Fortschritt, der Freibiermentalität der Patienten. Mit solchen »Argumenten« werden Privatisierungen im Gesundheitswesen als unumgänglich vorangetrieben; ärztliche Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenkassen gestrichen, Zuzahlungspflichten begründet. Derweil verdient nicht nur die Pharmaindustrie Unsummen. Doch wer kritisiert hier was und warum? Nadja Rakowitz wirft einen kritischen Blick auf das real existierende Gesundheitssystem - und zeigt, dass Alternativen sogar innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich sind. Klarheit statt Mythen: hier täglich in einer nd-Reihe.
Keine Papiere, keine Versicherung, kein Zugang
Diagnose:
Viele Menschen leben in Deutschland als Illegalisierte. Sie haben keine Papiere und sind damit – wenn sie nicht selbst zahlen können – von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen.
Therapie: Für dieses Problem gibt es im Moment kaum gesundheitspolitische Lösungsvorschläge, sondern nur migrations- oder innenpolitische: Man versucht, sich die Flüchtlinge mittels Grenzschließungen und EU-Regelungen vom Hals zu halten. Und man duldet inzwischen die ehrenamtliche Arbeit von Medi-Büros, Medi-Netzen und MalteserMigrantenMedizin, die sich unentgeltlich um die Ärmsten der Armen kümmern.
Hintergrund und Faktenlage:
Auch wenn inzwischen eine Versicherungspflicht eingeführt ist, gibt es immer noch viele Menschen in Deutschland ohne Krankenversicherung und damit ohne sicheren Zugang zum Gesundheitssystem. Es wird geschätzt, dass zwei von 1.000 Deutschen (ca. 160.000) keine Versicherung haben; dazu kommen zwischen 300.000 und eine Million Menschen ohne eine gültige Aufenthaltsgenehmigung.
Diese haben nur einen sehr eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung, da ihr Recht auf eine gesundheitliche Grundversorgung eingeschränkt ist durch den § 87.2 Aufenthaltsgesetz, der vorschreibt, dass öffentliche Angestellte, die Kenntnis von Illegalisierten haben, diese an die Ausländerbehörden weiterleiten müssen, wodurch eine Abschiebung droht – mit Ausnahme der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom September 2009, die den «verlängerten Geheimnisschutz» erlaubt. Das bedeutet, wenn Illegalisierte im Notfall ins Krankenhaus eingewiesen werden, greift die Schweigepflicht auch für die Verwaltungsangestellten; die Rechnung zahlt – zumindest in der Theorie – das Sozialamt.
Praktisch funktioniert dies sehr oft nicht. Nur wer privat oder direkt bar bezahlt, kann dem entkommen. Handelt es sich um eine schwere Erkrankung, kann eine Duldung beantragt werden. Eine Übergangslösung wäre die Einführung eines anonymen Krankenscheins, die es Illegalisierten ermöglichen könnte, an der Regelversorgung teilzunehmen.
Die von Dr. Nadja Rakowitz verfasste Broschüre „Gesundheit ist eine Ware. Mythen und Probleme des kommerzialisierten Gesundheitswesens“ ist in der Reihe »luxemburg argumente« erschienen und kann bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung bestellt werden.
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