Der globale Siegeszug und die Mythen der Drohnen
In den vergangenen Jahren haben wir die Geburt einer neuen Art der Kriegführung erlebt
Es leuchtet ein, warum Drohnen mit so viel Begeisterung aufgenommen werden: Sie stellen ein lukratives Geschäft dar und ermöglichen es Regierungen, den »Krieg gegen den Terror« auf unbestimmte Zeit und zu einem akzeptablen Preis, was das Leben der eigenen Bürger und Steuergelder betrifft, zu betreiben. Es wird behauptet, dass Drohnen mit einer solchen Präzision funktionieren, dass Todesfälle und Verletzungen in der Zivilbevölkerung selten sind. Zuerst einmal ist es wichtig festzustellen, dass wir nicht wirklich wissen, wie viele Menschen durch Drohnen ums Leben gekommen sind. Regierungsvertreter machen nur selten Angaben zu zivilen Opfern, die auf Drohnenangriffe zurückgehen. Wenn sie es doch tun, werden normalerweise extrem niedrige und stark umstrittene Schätzungen in einstelliger Höhe genannt, ohne dass die Zahlen belegt würden.
In Afghanistan hat die dortige Unterstützungsmission der Vereinten Nationen die Häufigkeit von US-Drohnenangriffen erfasst, die sich 2012 um 72 Prozent erhöhten. Die drei bekanntesten und häufig zitierten Quellen mit Statistiken zu Angriffen sind: das Projekt Year of the Drone der Denkfabrik New America Foundation, The Long War Journal, ein Blog und Projekt der Foundation for Defense of Democracies, und The Bureau of Investigative Journalism (TBIJ), eine in London ansässige gemeinnützige Organisation. Gemäß TBIJ wurden durch US-Drohnenangriffe ungefähr 3800 Personen in Pakistan, in Jemen und in Somalia getötet. Die US-Regierung kann nur zwei Prozent von ihnen als »hochwertige Ziele« identifizieren. Um wen handelt es sich also bei all den anderen?
Viele waren Kämpfer niedrigen Ranges, die mitmachten, um finanziell zu überleben oder um ein Stammesgesetz zu erfüllen, das Rache gegen denjenigen vorschreibt, der ihre Angehörigen tötete. Wiederum andere waren Zivilisten. Die Durchführung von »signature strikes«, bei denen Raketen »Aktivitätsmuster« anvisieren - beispielsweise große Menschenansammlungen anstatt namentlich bekannte Personen - machen es unvermeidbar, dass Zivilisten getötet und verletzt werden; besonders wenn sich herausstellt, dass es sich bei den Menschenansammlungen um Hochzeiten und andere Familienfeste gehandelt hat. Aber selbst wenn auf bestimmte Personen gezielt wird, sind »Kollateralschäden« nichts Außergewöhnliches. Auf Grund von Geräte- bzw. Designfehlern oder schlechten Wetters verwendet die US-Luftwaffe etwa eine von ihr als »double tap« bezeichnete Taktik (das Abfeuern von zwei Geschossen hintereinander auf jedes Ziel), um potenzielle Ausfälle zu kompensieren. Diese Taktik erhöht jedoch das Risiko von Todesfällen unter der Zivilbevölkerung. TBIJ hat mehr als 50 Todesfälle unter Zivilisten aufgrund von »double taps« dokumentiert.
Es gibt umfassende Belege dafür, dass militante Gruppen durch Drohnenangriffe neue Mitglieder gewinnen. Dies stellt ein Risiko nicht nur für die im Ausland eingesetzten amerikanischen Soldaten und anderes Personal dar, sondern für alle Amerikaner. Eine Studie des Pew Research Center von 2012 zeigt, dass annähernd drei von vier Pakistanis die Vereinigten Staaten als Feind betrachten. Das Ergebnis lag damit über den Werten von 69 Prozent im Jahr zuvor und 64 Prozent vor drei Jahren. Auf die Frage, warum es in ihrem Land so viel Feindseligkeit gegenüber den USA gebe, antwortete die pakistanische Außenministerin, Hina Rabbani Khar, mit nur einem Wort: »Drohnen«.
Anum Abbasi, Mitarbeiterin der Research Society of International Law in Islamabad, erzählte im Oktober 2012 meiner CODEPINK-Delegation in Pakistan, dass sie in ihrer eigenen Forschungsarbeit dokumentiert habe, dass die antiamerikanische Stimmung in der Tat weitgehend auf Drohnenangriffe zurückgeht und diese die Mitgliedschaft in militanten Gruppen direkt anfachen. Die Größe von Al Qaida auf der Arabischen Halbinsel hat sich mindestens verdreifacht, seit die Vereinigten Staaten ihre gezielten Angriffe in Jemen intensiviert haben. Mit anderen Worten: Wir ernten, was wir säen.
Zumal es auch falsche Geheimdienstangaben gibt. Die CODEPINK-Delegation erfuhr von zahlreichen Fällen gezielter Fehlinformationen durch Informanten, die entweder versuchten, alte Stammesfehden zu begleichen oder schlicht dringend benötigtes Geld zu verdienen. Einfache Fehler kommen auch häufig vor. Ein mit Granatäpfeln beladener Lastwagen kann auf Video genauso aussehen wie ein Lastwagen, der Kisten mit Sprengstoff geladen hat.
Mitglieder des Al-Qaida-Netzwerks haben sich immer mehr an Drohnen gewöhnt und viele Möglichkeiten gefunden, ihnen auszuweichen. Ein Dokument mit 22 Tipps von Al Qaida, wie man einem Drohnenangriff entgehen kann, wurde in einem verlassenen Gebäude in Mali gefunden. Sie reichen vom Kauf eines russischen Geräts, das die elektronische Kommunikation von Drohnen stört, über die Nutzung eines unterirdischen Unterschlupfes bis zum Verstecken unter dichten Bäumen.
Über die Rechtmäßigkeit von Tötungen durch Drohnen wird heftig debattiert. Die Argumente dafür oder dagegen sind im Wesentlichen davon abhängig, ob der Angreifer glaubhaft darlegen kann, dass die Angriffe zur Selbstver- teidigung oder mit Zustimmung der Regierung des betroffenen Landes erfolgen. John Brennan, Obamas Berater für Terrorismusbekämpfung und Chef der CIA, sagte in einer Rede 2012: »Nach internationalem Recht befinden sich die Vereinigten Staaten als Antwort auf die Angriffe vom 11. September in einem bewaffneten Konflikt mit Al Qaida, den Taliban und mit ihnen verbundener Kräften. In Einklang mit unserem unveräußerlichen Recht auf nationale Selbstverteidigung sind wir auch berechtigt, Gewalt anzuwenden. Im Völkerrecht gibt es keine Bestimmung, die die Verwendung von ferngelenkten Flugzeugen zu diesem Zweck untersagt oder es uns verbietet, außerhalb eines aktiven Schlachtfeldes tödliche Gewalt gegen unsere Feinde anzuwenden, zumindest wenn das beteiligte Land seine Zustimmung gibt oder es nicht fähig oder willens ist, gegen die Bedrohung vorzugehen.«
Allerdings fechten viele Menschenrechtsexperten außerhalb der Obama-Regierung Brennans Behauptung an, dass sich die Vereinigten Staaten in einer rechtmäßigen bewaffneten Auseinandersetzung in Ländern wie Pakistan und Jemen befinden. Was die Zustimmung durch die örtliche Regierung betrifft, so gilt diese Ausrede für Pakistan mittlerweile nicht mehr. »Drohnenangriffe verstoßen gegen Pakistans Souveränität, gegen das Völkerrecht und gegen die UN-Charta«, sagte der pakistanische Außenstaatssekretär Jalil Abbas Jilani Parlamentsmitgliedern in Islamabad. Ben Emmerson, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, stimmte dieser Aussage im März 2013 zu und bemerkte, dass auf US-Angriffe nicht einmal mehr die Ausrede stillschweigender Zustimmung zutrifft.
Was übrig bleibt, ist John Brennans Behauptung, dass die Vereinigten Staaten oder ihre Partner militärisch eingreifen können, wenn die Regierung vor Ort nicht selbst zum Handeln »fähig« oder »willens« ist. Internationale Juristen sind jedoch anderer Meinung. Die gesamte Welt ist nicht eine Kriegszone, und Kriegstaktiken, die auf Kampfplätzen möglicherweise erlaubt sind, können nicht einfach irgendwo auf der Welt eingesetzt werden, nur weil der Verdacht besteht, dass sich an einem bestimmten Ort ein mutmaßlicher Terrorist aufhält.
Es ist richtig, dass Drohnen hinsichtlich der Anschaffungskosten wesentlich günstiger sind als bemannte Flugzeuge. Der Preis des Kampfjets F-22 von Lockheed Martin z.B. beträgt pro Stück um die 150 Millionen US-Dollar. Im Gegensatz dazu belief sich 2011 der Preis einer Predator-Drohne auf fünf Millionen Dollar und der einer Reaper-Drohne auf 28,4 Millionen Dollar. Jedoch hört es bei den Kosten für die Drohne selbst nicht auf. Beispielsweise beträgt der Kaufpreis einer Hellfire-Rakete 68 000 Dollar und, obwohl die Kosten für Treibstoff, den Betrieb und die Wartung von Drohnen nicht vollständig bekannt sind (sie werden aus dem sogenannten Black Budget der CIA bezahlt), kostet jede Stunde in der Luft schätzungsweise 2000 bis 3500 Dollar. Zwischen 2001 und 2010 stieg die Einsatzzeit der Luftwaffe um 3000 Prozent. Außerdem wird für den Einsatz von Drohnen eine beträchtliche Anzahl von Personal benötigt, auch wenn die Luftfahrzeuge unbemannt sind. Laut der US-Luftwaffe sind unvorstellbare 168 Personen notwendig, um nur eine Predator-Drohne 24 Stunden lang in der Luft zu behalten. Für die größere Überwachungsdrohne Global Hawk sind für den gleichen Zeitraum sogar 300 Personen erforderlich. Im Gegensatz dazu benötigt ein F-16-Kampfjet weniger als 100 Personen pro Einsatz.
Drohnen sind oft auch nicht sehr langlebig. Sie stürzen häufig ab. In einer Untersuchung des US-Kongresses wurde festgestellt, dass die »extrem hohen Verluste von Luftfahrzeugen die Kostenvorteile zunichte machen können«. Die Luftwaffe gab 2009 zu, dass mehr als ein Drittel ihrer Predator-Spionagedrohnen abgestürzt war, der Großteil davon in Afghanistan und in Irak. Was die Piloten selbst betrifft, so besteht kein Zweifel daran, dass die Länder, die Drohnen verwenden, ihre eigenen Soldaten vor dem Risiko schützen möchten, sich bei einer Kampfhandlung Verletzungen zuzuziehen. Aber das bedeutet nicht, dass Drohnen »risikofrei« sind. Es wird kaum darüber diskutiert, dass unter Drohnenpiloten ein hohes Maß an posttraumatischen Belastungsstörungen existiert. Fast ein Drittel der 1100 Drohnenpiloten der US-Luftwaffe leidet an »Burnout«; bei 17 Prozent wird vermutet, dass sie »im klinischen Sinne verzweifelt« sind.
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