Flüchtlingsprotest: Sorge vor Toten bei Hungerstreik
Vogel und Glück starten Vermittlungsversuch / CSU-Innenminister attackiert Protestierende / Soliaktion beim WDR in Köln gescheitert
München (Agenturen/nd). Wegen drohender Todesfälle beim Hungerstreik von 50 Asylbewerbern in München hat die Politik einen Vermittlungsversuch gestartet. Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel und der ehemalige CSU-Politiker Alois Glück kamen am Samstagabend gemeinsam in das Zeltlager der Flüchtlinge in der Innenstadt. Anschließend gingen sie mit zwei Anwälten der Gruppe und deren Sprecher Ashkan Khorasani ins benachbarte Stadtmuseum. In einem Gespräch im kleinen Kreis sollte der Konflikt entschärft und eine einvernehmliche Lösung gefunden werden. Bis zum späten Abend stand ein Ergebnis noch aus.
Die Asylbewerber aus mehreren afrikanischen und asiatischen Ländern fordern die sofortige Anerkennung ihrer Asylanträge. Seit einer Woche verweigern sie die Nahrungsaufnahme, seit Dienstag trinken sie nichts mehr - in der Regel verdursten Menschen nach wenigen Tagen ohne Wasser. Das Angebot einer Asyl-Schnellprüfung innerhalb von zwei Wochen lehnt ihr Sprecher Ashkan Khorasani - der selbst nicht hungert - kategorisch ab.
Die Linkenvorsitzende Katja Kipping sagte, „dass die hungerstreikenden Flüchtlinge ihr Leben riskieren, deutet an was sie nach Abschiebung erwartet“. Sie forderte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, das Land Bayern dürfe „sich nicht stur stellen“.
Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hatten sich bei einem Krisentreffen in der Staatskanzlei auf den Vermittlungsversuch verständigt. Der Landtagswahlkampf soll angesichts des Ernsts der Lage zurückstehen. Ude tritt bei der Wahl im September als SPD-Spitzenkandidat gegen Seehofer an. »Bei derart schwierigen Entscheidungen, bei denen es nicht rhetorisch, sondern tatsächlich möglicherweise schon in kurzer Zeit um Leben und Tod geht, ist es gut, wenn es einen breiten Konsens gibt«, sagte Ude.
Er ließ keinen Zweifel, dass der Krisenstab von Stadt und Staatsregierung Tote in München verhindern will: »Der absolute Vorrang gebührt dem Schutz von Leib und Leben.« Doch wollen die Behörden eine Zwangsräumung des Hungerlagers durch die Polizei offenbar vermeiden. Das »Demonstrationsgeschehen« sei rechtmäßig, sagte Ude dazu.
Vor dem Krisentreffen verweigerten die Unterstützer erneut Ärzten den Zutritt zu dem kleinen Zeltlager in der Münchner Innenstadt. Am frühen Abend wurde dann wieder einem Arzt der Zutritt gestattet. Er ließ einen Mann ins Krankenhaus bringen. Das Hungercamp wurde von Dutzenden Polizisten überwacht. Wie schon in den Vortagen lieferten sich Passanten Wortgefechte.
Am Vortag hatte der Sprecher der Gruppe in einer mit »unsere letzte Nachricht« betitelten Erklärung mit Toten gedroht: »Entweder die Erfüllung der exakten Forderung der hungerstreikenden Asylsuchenden oder Bobby Sands und Holger Meins auf den Straßen Münchens.« Meins und Sands waren Terroristen von RAF und IRA, die sich 1974 beziehungsweise 1981 zu Tode gehungert hatten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von »Rädelsführern«, die sich selbst auf eine Ebene mit Terroristen gestellt hätten. »Ich bin persönlich nicht überzeugt, dass das dem Bewusstsein und dem Willen aller Teilnehmer dieser Aktion entspricht und dass sie sich überhaupt bewusst werden, wie sie politisch vereinnahmt werden.«
In Köln versuchten derweil rund 30 Demonstranten, beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) einzudringen und so Solidarität mit den Asylbewerbern in München zu zeigen. Wie ein Sprecher der Polizei sagte, trommelten sie am Samstagabend gegen die Türen eines WDR-Gebäudes, gelangten aber nicht in das verschlossene Haus. Die vom WDR-Sicherheitsdienst alarmierte Polizei habe die Aktivisten dann zur Kölner Domplatte begleitet, wo sich einige von ihnen dann versammelt hätten.
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