Magisches Fünfeck bei der Rente
Hauptverlierer der bisherigen Umverteilungen sind die künftigen Senioren
Was mag die Bundesregierung getrieben haben, am 1. Juli einen psychologischen Graben zwischen dem Rentner West mit seiner Minimal-Steigerung von 0,2 Prozent und dem Rentner Ost, der gute drei Prozent mehr überwiesen bekommt, zu schaufeln? Was mag den DGB vergangene Woche getrieben haben, dass er eine Senkung des Rentenbeitrages zum Jahreswechsel kategorisch ablehnt? Was mag schließlich die Union getrieben haben, die 21 Jahre alte Gerechtigkeitslücke bei den Kindererziehungszeiten zwischen Geburten vor und nach 1992 just in Zeiten erhöhter Sparsamkeit schließen zu wollen?
Die Antwort auf diese Fragen findet sich im »magischen Fünfeck« der Rentenpolitik. Es sind nämlich fünf Akteure mit jeweils eigenen Interessen, die die Rentenfinanzen tangieren: Die Versicherten als Beitragszahler, ihre Arbeitgeber, die aktuellen sowie die künftigen Rentner und schließlich der Staat. Die Politik versucht immer wieder unter dem Vorwand, sozial zu sein, die Altersvorsorge zu reformieren. Das geht so: Einer der fünf Gruppen wird etwas zusätzlich gegeben und die anderen vier müssen die Rechnung bezahlen. Welche Gruppe dabei unter dem Strich am meisten profitiert, hängt kurzfristig von der zeitlichen Nähe zum nächsten Wahltermin und langfristig vom Faktor Macht sowie ihrem Erpressungspotenzial ab.
Deutlich wird das beim Vergleich der Rentenpolitik vor und nach der deutschen Vereinigung. Ging es zuvor vor allem um die Verteilung der wachstumsbedingten Überschüsse in der Rentenkasse, galt es danach, die Aufgabe zu bewältigen, gleichzeitig dreifach umzuverteilen zwischen den fünf Akteuren. Erstens zwischen Rentenversicherung und Staat (immerhin ist der Rentenzuschuss größter Einzelposten im Bundeshaushalt - das schafft Begehrlichkeiten), zweitens zwischen den Arbeitgebern sowie den jetzigen und den künftigen Rentnern und drittens zwischen den Versicherten Ost sowie den Versicherten West. Zur Vernebelung der wahren Beweggründe einer interessengeleiteten Politik dienen Schlagworte wie Lohnnebenkosten (die es zu deckeln gilt), Demografie (Geburtenflaute), steigende Lebenserwartung sowie Ost-West-Transfer.
Diese Entwicklungen belasten die Rentenfinanzen. Fortgeschrieben in die Zukunft werden sie vor allem von der dominanten Interessengruppe der Arbeitgeber mit ihrer Parole: »Kein Rentenversicherungsbeitrag über 22 Prozent!«. Sie bringen eine vierte Umverteilung ins Spiel: von der paritätisch finanzierten gesetzlichen zur einseitig von den Arbeitnehmern getragenen Privatrente. Um den Wegfall des Mitfinanziers Arbeitgeber zu kompensieren, springt der Staat mit milliardenschweren »Lock-Prämien« ein - dem Riestern zum Schaden des Bundesbudgets. Dagegen freut sich die Wirtschaft über geringere Beiträge für die abgespeckte gesetzliche Rentenversicherung, über neue Kunden der Versicherungsbranche und über zusätzliches (Spar-)Kapital für Investitionen.
Die Hauptverlierer der diversen Umverteilungen innerhalb des »magischen Fünfecks« stehen ebenfalls schon fest: die künftigen Rentner, deren eingezahlte Beiträge etwa durch die Rente mit 67 entwertet werden. Dadurch nimmt die Zahl der nötigen Beitragsjahre zu, um später eine wenigstens das Existenzminimum sichernde Rente kassieren zu können. Das Risiko, im Alter arm zu bleiben oder zu werden, wächst dramatisch.
Immerhin hat sich inzwischen die Einsicht verbreitet, dass eine graduelle Kursänderung erforderlich ist. Daraus ergeben sich die Antworten auf die drei Eingangsfragen: Die Bundesregierung zieht zur Finanzierung eines vielleicht kommenden Anti-Altersarmuts-Aktionsprogramms schon mal die aktuellen West-Rentner heran und lässt deren Renten ein Jahr lang stagnieren. Der DGB bittet für den gleichen Zweck die Beitragszahler zur Kasse: Ohne gesetzlichen Eingriff würden die derzeit steigenden Rentenreserven automatisch zur Senkung des Beitragsatzes am 1. Januar 2014 führen. Und schließlich möchte die Union ihr »Wahlgeschenk« für einige tausend ehemalige Wöchnerinnen am liebsten von der Rentenversicherung bezahlen lassen. Und das ungeachtet der Tatsache, dass Babyjahr-Boni bisher noch allemal Finanzierungssache des Bundes waren.
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