Tatort-Kommissare und das reale Leben

Kaum Migranten in Behörden - Beispiel Nürnberg

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Jeder Fünfte hierzulande hat einen Migrationshintergrund, doch in den kommunalen Behörden ist diese wachsende Gruppe nur mit zwölf Prozent präsent. In Nürnberg, wo sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sitzt, sind es noch deutlich weniger. Angeblich liegt es an fehlenden Qualifikationen.

Im Fernsehen gibt es sie schon lange: Tatort-Kommissare oder andere Staatsdiener mit türkischen, kroatischen, russischen, oder afrikanischen Wurzeln. Zuweilen helfen dann ihre besonderen Kenntnisse dabei, einen Fall zu lösen. Denn sie sprechen nicht nur mehrere Sprachen, sondern können sich auch leichter in das Denken und Fühlen des Kulturkreises ihrer Eltern und Großeltern hineindenken.

Der reale Alltag in deutschen Ämtern - ob Kriminalkommissariat, Wohngeldstelle oder Standesamt - ist indes noch weit entfernt von derlei Empathie. Nur in Luxemburg und Dänemark beschäftigen die Behörden noch weniger Mitarbeiter mit ausländischen Wurzeln. Das bestätigte Ende 2012 auch eine Studie der OECD.

Dabei ist Deutschland mit gut elf Millionen Migranten nach den USA das weltweit zweitwichtigste Aufnahmeland unter den Industrienationen. Bereits jeder Fünfte hierzulande hat einen Migrationshintergrund - aber gerade einmal zwölf Prozent der Mitbürger aus jener nach wie vor wachsenden Gruppe schaffen es auf einen Stuhl in staatlichen Verwaltungen, bei Gesundheit- und Sozialdienstleistern oder im Bildungsbereich.

Ganze neun Prozent

»Die Chance, einen Lehrer oder einen Polizisten mit ausländischen Wurzeln einzustellen, wird in der Bundesrepublik leider immer noch zu wenig genutzt«, sagte Thomas Liebig, Migrationsexperte in der Pariser OECD-Zentrale, bei Vorstellung der Studie. Selbst in Städten wie Nürnberg, wo der Migrationsanteil bereits 40 Prozent übersteigt, ist das nicht anders. Dabei hat in Nürnberg sogar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Sitz, das sich als »Motor der bundesweiten Förderung der Integration« sieht.

Doch schaut man sich unter den 10 000 kommunalen Bediensteten der Stadt Nürnberg um, finden sich hier kaum 900 Angestellte mit nichtdeutscher Vorgeschichte - ganze neun Prozent. Und nicht wenige von ihnen rekrutiert man lediglich für Putzkolonnen oder Betriebskantinen.

Erwin Rupp, Chef des städtischen Personalrats, sieht einen Hauptgrund für das gravierende Defizit in der fehlenden fachlichen Eignung ausländischer Bewerber. Vor allem wenn Stellen einen Studienabschluss erfordern, sei dies der Fall. Vielleicht sollte er sich mal ein paar Straßenzüge weiter bei den Migrationsforschern besagten Bundesamtes umtun. Denn diese erleben seit Jahren ein enorm wachsendes Bildungsniveau unter den Zuwanderern: Mittlerweile hat fast die Hälfte von ihnen Abitur, der Anteil an Akademikern liegt bei 45 Prozent. Deutschland mausere sich zunehmend zu einem »Magneten für Hochqualifizierte«, beobachtet der Politikwissenschaftler Holger Kolb, der für den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration tätig ist.

Die Kehrseite: Zu oft werden ihre Abschlüsse von den bundesdeutschen Behörden schnöde ignoriert - ein Vorgehen, von dem ja auch viele Ostdeutsche ein Lied singen können. Oder auch die 31-jährige Diana Liberova. Als Einser-Abiturientin kam sie Anfang der 1990er Jahre mit ihrer jüdischen Familie von St. Petersburg nach Nürnberg. Doch statt Studium erwarteten sie noch einmal drei Jahre Gymnasium: Ihr Abitur war in Bayern nichts wert.

Heute im SPD-Vorstand

In der bayerischen Schule war sie dann etwa in Mathematik mit ihrem UdSSR-Schulwissen den deutschen Schülern »bei weitem überlegen«, erinnert sie sich. Dabei sprach sie anfangs nicht mal ein Wort Deutsch. Denn sie besaß - »weil ich ja noch nie gearbeitet hatte« - auch keinen Anspruch auf einen Sprachkurs.

Diana Liberova biss sich durch, studierte Pädagogik und Musikwissenschaft und besitzt längst einen Magisterabschluss. Doch da sich in den 20 Jahren ansonsten wenig änderte für die Zuzügler, leitet sie heute auch den städtischen Rat für Integration und Zuwanderung, quasi das Sprachrohr für eingebürgerte Nürnberger. Auch dem Vorstand der Nürnberger SPD gehört sie an.

Dennoch muss sie feststellen: Nach wie vor gebe es »kaum Spielraum« für die Bestätigung ausländischer Abschlüsse, für Fremdsprachenwissen »und vor allem für interkulturelle Kompetenz«. Dabei wünschte sie sich gerade jenen letzten Punkt als maßgebliches Bewerbungskriterium für öffentliche Stellenausschreibungen: »Dort wo es eben sinnvoll ist ...«

Auch Lehrer fehlen

Womöglich sollte die junge Frau mal ihren Parteifreund Kazim Abaci in Hamburg besuchen. Immerhin hat an der Unterelbe sogar jedes zweite Kind keine deutschen Wurzeln. Für die Hansestadt ist dies nun langsam Anlass, sich auch in den Schulen um mehr Pädagogen mit multikulturellem Background zu bemühen. Denn als der türkischstämmige Abaci, der heute in der Hamburger Bürgerschaft sitzt, sich diesbezüglich an den Senat wandte, erfuhr er: Bereits bei jedem vierten Referendar stammt die Familie aus der Türkei, aus Russland, Kasachstan, Polen oder Kroatien. Vorerst ein guter Anfang, mehr aber noch nicht. Denn unter Hamburgs verbeamteten Lehrern hat bisher nur jeder zwanzigste eine nichtdeutsche Herkunft.

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