Chance und Risiko - »Riestern« besser als sein Ruf?

Umstrittene Altersvorsorge

  • Lesedauer: 7 Min.
Immer wieder und dabei immer heftiger wird über das »Riestern« gestritten - im Positiven wie im Negativen. Unser Autor Hermannus Pfeiffer versucht, Antworten zu geben.

Die Versicherungswirtschaft beklagt einen drastischen Einbruch im Neugeschäft mit »Riester«. 2012 betrug der Netto-Neuzugang an Riester-Verträgen nach Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales lediglich 370 000 und blieb damit um über 60 Prozent hinter dem Vorjahr zurück. Schuld gibt die Versicherungswirtschaft dem demografischen Wandel, dem Trend zu anderen Geldanlageformen und auch der »schlechten Presse«.

Seit Längerem wird in den Medien berichtet, dass sich das Riester-Sparen für die Versicherten nicht lohne. Wiederholt wurde im nd-ratgeber solchen Meldungen widersprochen. Riestern kann sich gerade für junge Leute und einkommensschwächere Menschen auszahlen. Aber die Praxis liefert auch viele Beispiele, die weniger positiv sind.

Warum Riester-Verträge ins Gerede gekommen sind

Zum Weltverbrauchertag im März stellte die Verbraucherzentrale Hamburg die private Altersvorsorge in den Mittelpunkt. »Besonders Riester-Verträge sind ins Gerede gekommen«, beklagt Dr. Günter Hörmann, langjähriger Geschäftsführer der Verbraucherzentrale. Die Gründe: zu teuer, zu geringe Renten. Auch Verbraucherschützer berichten von sorgenvollen Verbrauchern, die um ihr Erspartes fürchten.

Viele Kunden verweisen auf die »Standmitteilungen«, welche die Versicherungsunternehmen jährlich an ihre Kunden verschicken: Danach wächst ihr Kapital nicht, sondern allenfalls stagniert es. Der Finanzexperte Günter Hörmann nennt dafür Beispiele:

Fall 1: Seit neun Jahren läuft der Vertrag von Frau B. bei der ERGO Versicherung. Eingezahlt habe sie 13 147,92 Euro. Der ihr kürzlich mitgeteilte »Stand« sei aber nur 11 906,39 Euro - ein dickes Minus also.

Fall 2: Eine Kundin mit einem Riester-Vertrag der Allianz-Gruppe seit 2001 traute ihren Augen nicht, als sie ihre Information zur Wertentwicklung studierte: »Erhaltene Zulagen + 154,00 Euro ... Einbehaltene Verwaltungskosten - 154,48 Euro.« Das Riester-Konto der Kundin wurde also kleiner.

Fall 3: Ein Kunde der Victoria-Versicherung rechnete nach und kam zu dem Schluss: Im zehnten Jahr seines Riester-Vertrages muss er 338,66 Euro für Abschluss- und Vertriebskosten sowie für die Verwaltung zahlen.

»Nach solchen Erfahrungen ziehen viele Kunden die Notbremse, kündigen ihren Vertrag und wollen vom Riestern nichts mehr wissen«, sagt Hörmann.

Dabei kann ein Riester-Vertrag eine gute Altersvorsorge sein - wenn man ihn nicht bei einer Versicherung abschließt, ergänzt Hörmann. Wer einen ganz normalen Riester-Sparplan bei der Bank oder Sparkasse wählt, könne sich Jahr um Jahr über stetigen Zuwachs seines Kontos freuen. Die Kosten sind laut Verbraucherzentrale fast null. Zwar sind die Zinsen wegen des geringen allgemeinen Zinsniveaus nicht berauschend, doch die staatlichen Zulagen machen das Konto richtig rund.

Das gilt schon für eine Person - aber umso mehr, wenn die Einkünfte und damit der Eigenbeitrag gering und wenn wegen der Kinderzahl die Zulagen hoch sind. »Riestern lohnt sich also doch - wenn man es richtig macht: Versicherer vermeiden, auf Kosten achten und vor Abschluss unabhängigen Rat einholen«, so Günter Hörmann.

Vorher wissen, was später bei der Riester-Rente rauskommt

Wer eine private Riester-Rente abschließt, soll künftig vorher wissen, wie hoch die Kosten sind - und was am Ende an Altersversorgung herauskommt. Dies sieht ein Gesetzentwurf vor, der im September 2012 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, aber noch nicht rechtskräftig ist. Kernstück der Reform ist ein Produktinformationsblatt.

Aus ihm soll hervorgehen, wie teuer die Kosten des Vertrages sind, welche Rendite zu erwarten ist und wie hoch das Risiko ausfällt. Versicherer und Banken sollen verpflichtet werden, die wichtigsten Kennzahlen preiszugeben.

»Mit einem solchen leicht verständlichen, standardisierten Beipackzettel soll es den Verbrauchern möglich sein, gute von schlechten Angeboten zu unterscheiden«, verspricht das Bundessozialministerium. Zudem soll der Riester-Check eine Modellrechnung über die Höhe der garantierten Rente enthalten.

Für Durchblick soll auch eine Risiko-Ampel sorgen: Auf einer Skala von eins (»inflationsgeschützt«) bis sechs (»Spekulation«) könnte das Risiko abzulesen sein. Für Verbraucher könnte sich damit der Riester-Rürup-Dschungel etwas lichten.

Doch während die Pläne der Bundesregierung frühestens 2014 bessere Vergleichsmöglichkeiten schaffen werden, hat das Analysehaus Morgen & Morgen GmbH in Hofheim im Taunus bereits jetzt ein wenig mehr Transparenz in die staatlich geförderten privaten Altersvorsorge-Policen gebracht, indem die Riester- und Rürup-Rententarife in fünf Chance-Risiko-Klassen eingeteilt wurden.

Notwendig ist aber der Hinweis, dass die Risikoklassen von Morgan & Morgen eine zusätzliche Informationsquelle bieten, der sich kritische Verbraucher bedienen können - nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Nach Morgen & Morgen werden die Rententarife nach Renditechancen und Verlustpotenzial wie folgt eingeordnet:

● Klassen 1 und 2 beinhalten vor allem Tarife für sicherheitsorientierte Kunden, hauptsächlich klassische Rentenversicherung mit klassischem Überschusssystem (Klasse 1) und mit Fondsanlage (Klasse 2).

● Klasse 3 ist stärker ertragsorientiert, verbunden mit geringen Risiken. Deutlich chancenorientiert aber auch mit erhöhtem Risiko stellt sich die Klasse 4 dar. In diesen beiden Kategorien findet man normalerweise hauptsächlich Fondsgebundene Rentenversicherungen mit Beitragsgarantie.

● In Klasse 5 finden sich stark wachstumsorientierte Produkte mit erheblichen Risiken, hauptsächlich Fondsgebundene Rentenversicherungen ohne Beitragsgarantie.

Sicherheit frisst Chance, Chance frisst Sicherheit

Das Dilemma für jeden Sparer besteht in dem Verhältnis von Chance und Risiko. Wer eine höhere Verzinsung als auf dem Sparbuch oder von Bundeswertpapieren will, muss ein höheres Risiko eingehen. Wer jedes Risiko scheut, hat heute angesichts historisch niedriger Zinssätze Probleme, wenigstens den Wert seines Ersparten zu erhalten. Sichere Riester- und Rürup-Altersvorsorge-Produkte werden daher nur durch die staatlichen Zulagen zu einer attraktiven langfristigen Geldanlage.

Um diesen Zusammenhang weiß auch Morgen & Morgen-Geschäftsführer Stephan Schinnenburg: »Die Klassen verdeutlichen das ganz einfache Prinzip: Sicherheit frisst Chance und Chance frisst Sicherheit. Der Kunde sieht schwarz auf weiß, worauf er sich einlässt und was er von dem jeweiligen Tarif grundsätzlich erwarten kann.«

Nach dem sogenannten VolatiumModell werden von dem Analysehaus für jeden einzelnen Tarif kalkulatorische Besonderheiten und Kosten sowie Garantiemechanismen nach einem standardisierten Verfahren berücksichtigt. Durch fest definierte, einheitliche Kapitalmarktszenarien werden die Rendite-Wahrscheinlichkeit simuliert und die Produkte mit anderen Altersvorsorgeprodukten vergleichbar. Allerdings richtet sich das Analysehaus nur mittelbar an Endverbraucher, direkt aber an Makler und Finanzdienstleister, die markenunabhängig Versicherungspolicen vertreiben. Diese können eine Volatium-Software mit den Tarifinformationen erwerben.

Riester-Rente klassisch im Vergleich der Tarife

Inzwischen hat Morgen & Morgen (www.morgenundmorgen.com) die Profile von über 100 zertifizierten Tarifen von insgesamt zehn Lebensversicherern frei zugänglich ins Internet gestellt. Wer also den Abschluss eines Altersvorsorgeproduktes plant, kann sich hier vorab informieren.

Beispielsweise erfährt man hier mehr zur »Riester-Rente klassisch«. Die Vorgaben sind: Mann, Jahrgang 1975, Versicherungsbeginn 1. Januar 2012, Rentenbeginn 1. Januar 2042, monatlicher Eigenbetrag 100 Euro.

Für diesem Modellfall schnitten Tarife der PB Leben, Cosmos Direkt, HUK-Coburg, Hanse Merkur und Hannoversche Leben mit der »Klasse 1« ab - »sicher« sind danach monatliche Renten zwischen 150 und 160 Euro.

Ob das nun viel oder wenig Geld ist, muss jeder Verbraucher für sich entscheiden. Solange die Regierungspolitik an der Privatisierung der gesetzlichen Rente festhält, bleibt eine private Altersvorsorge für denjenigen, der es sich leisten kann, zweckmäßig.

Riester oder Rürup, betrieblich oder privat?

Zum Schluss noch einige grundlegende Infos: Egal, welche Anlageform Sie wählen - beim »Riestern« gelten besondere Sicherheiten: Zum Auszahlungsbeginn (nicht verwechseln mit den eingangs erwähnten Standmitteilungen, die nur einen Zwischenstand widerspiegeln) stehen mindestens alle eingezahlten Beiträge plus die staatlichen Zulagen zur Verfügung. Zu dieser Zusage sind Anbieter von zertifizierten Riester-Produkten - Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen - gesetzlich verpflichtet. Und nur Verträge, die diese Zusicherung enthalten, bekommen von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auch das »Riester-Siegel«, also die Zertifizierung. Ihre eingezahlten Beiträge sind bei solchen Produkten sicher!

Riester-Rente ist für die meisten der »Königsweg«

Die Riester-Rente ist für die meisten Menschen in der privaten Altersvorsorge der »Königsweg«. Durch die bis 2008 gestiegenen Zulagen ist sie für Förderberechtigte in der Regel äußerst attraktiv. Ein Beispiel: Eine verheiratete Beschäftigte mit zwei Kindern kann seit 2008 pro Jahr bis zu 678 Euro an Zulagen einstreichen (2 x 185 Euro pro Kind plus 308 Euro Grundzulage für Verheiratete).

Dabei geht für gesetzlich Krankenversicherte »privat Riestern« oftmals vor »betrieblich Riestern«. Der Grund: Bei einem privaten Vorsorgevertrag müssen im Alter von den Auszahlungen keine Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abgeführt werden, bei über den Betrieb abgeschlossenen Riester-Verträgen hingegen schon. Das sind bei GKV-Versicherten derzeit immerhin rund 15 Prozent der Rente, die an die Kasse fließen. Bei aller Klage bleibt aber festzustellen: Wer nicht »riestert«, steht letztlich noch schlechter da.

Weitere Infos: Die Verbraucherzentralen unterstützen Interessenten gegen ein Entgelt bei der konkreten Entscheidung zum »Riestern«. Allgemeine Informationen zur Altersvorsorge erhält man bei den Rentenversicherungsträgern, die aber keine Anbieter oder Produkte empfehlen dürfen. Rat gibt es auch auf der Internetseite www.altersvorsorge-macht-schule.de.

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