- Kommentare
- Gastkolumne
Naturschutz ist kein Luxusthema
Olaf Tschimpke über Naturschutzziele und die Realität
Das Bundesamt für Naturschutz besteht in seiner jetzigen Form seit genau 20 Jahren. Glückwunsch! Vieles ist in diesen zwei Jahrzehnten im Naturschutz in Deutschland erreicht worden - man denke nur an die Sicherung und den Ausbau der deutschen Großschutzgebiete durch den Impuls des Nationalparkprogramms der DDR von 1990. Das Bundesamt leistete mit seinem Förderprogramm für »Landschaften von gesamtstaatlich repräsentativer Bedeutung« einen wichtigen Beitrag.
Weitere Meilensteine in dieser Zeit waren die Identifizierung und Ausweisung von NATURA-2000-Gebieten, die im parteiübergreifenden Konsens errungene Sicherung des Nationalen Naturerbes, die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt und zuletzt das Bundesprogramm Biologische Vielfalt. Zu den wichtigsten Erfolgen gehört jedoch, dass der Naturschutz heute fest im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist, während er damals nur am Rand wahrgenommen wurde.
Mit dem wachsenden öffentlichen Bewusstsein für die Notwendigkeit von Naturschutz ging jedoch keine Verbesserung der Situation der Natur einher. Im Gegenteil! Mancher meint, je schlechter es der Natur gehe, um so besser gehe es dem Naturschutz. Je mehr Menschen vom Verlust intakter Natur betroffen sind, desto stärker wächst das Bedürfnis, diesen Trend aufzuhalten. Aber oft ist es dann zu spät. Das Sterben von Populationen und Arten - es verläuft unmerklich und lautlos - wird in einer gleichgültigen Gesellschaft nicht einmal bemerkt. Das Bemerken reicht aber nicht aus, es bedarf einer Betroffenheit. Trotz aller Erfolge ist die Betroffenheit über den Verlust von Natur noch unzureichend - das ist das Dilemma.
Auch in der Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik wird Naturschutz immer noch nicht angemessen berücksichtigt. So kann Naturschutzpolitik nicht erfolgreich sein. Zu den größten aktuellen Herausforderungen zählen nach wie vor die Ökologisierung der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und eine naturverträgliche Energiewende. Noch immer fließt der überwiegende Teil staatlicher Subventionen in umweltschädliche Bereiche wie die intensive Landwirtschaft und den Ausbau der Infrastruktur. Das Einsparen von Energie kommt nicht voran und auch die Ausweitung vorhandener Nachhaltigkeitsverordnungen auf alle Formen der Biomasse lässt weiter auf sich warten.
Natur braucht uns Menschen nicht - wir Menschen sind es, die die Natur brauchen. Das klingt banal und wird oft zitiert, aber wir verhalten uns nicht danach. Der Mensch steht im Mittelpunkt des Naturschutzes, er ist es, für den Naturschutz erforderlich ist. Was wir brauchen, ist eine Veränderung der Prioritäten im politischen Koordinatensystem! Naturschutz darf nicht länger als ein Luxusthema betrachtet werden, dem man sich dann zuwendet, wenn die gravierendsten aktuellen Probleme der Wirtschafts- und Sozialpolitik gelöst sind. Erst wenn wir Naturschutz begreifen als die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen, wenn wir ihn als ressortübergreifenden Anspruch verstehen, nach uns kommenden Generationen nicht die Chance auf eine lebenswerte Zukunft zu nehmen - erst dann wird Naturschutz auch erfolgreich in der Natur zu sehen sein.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.