Sylt für alle
Wodka, Bonbons, Salatsoße - viele Produkte tragen den Namen der Nordseeinsel, ohne dort hergestellt zu sein
Westerland. Sylt, die wohl bekannteste Insel Deutschlands, sorgt neuerdings für erstaunliche Karrieren. Waren früher allenfalls die einstige Bretterbude Sansibar - heute Kult-Restaurant - oder das Fischimperium Gosch über die Grenzen des Eilands hinaus bekannt, schmückt sich inzwischen eine ganze Produktpalette mit dem Namen der Insel. Sylt als Teil der Bezeichnung findet sich von Wodka über Dosenbrot bis hin zu Salatsoße. Oft haben sie mit der Insel eher wenig zu tun. Mal stammt das Rezept von dort, mal wird die Spirituose mit Kieseln vom Sylter Strand filtriert - und nicht selten soll der klingende Name einfach Kunden locken.
»Dieser Marketing-Trick ist ja nicht neu«, sagt Gudrun Köster von der Verbraucherzentrale Kiel. »Die verkaufen Emotionen und Bilder, die im Kopf entstehen.« Rechtlich gebe es meist keine Handhabe gegen Ortsbezeichnungen in Produktnamen, anders als bei bestimmten regionalen Besonderheiten. Doch dafür reicht es bei Sylt nicht, laut Inselmarketing arbeiten nur rund ein Dutzend Lebensmittelproduzenten wirklich dort.
Markenrechtlich genießt Sylt keinen Schutz. Bei Orten sieht das Gesetz so etwas nicht vor - jeder darf seine Möbelkollektion München nennen oder eben die Salatsoße Sylt. Anders kann das bei regionalen Spezialitäten wie der schwäbischen Maultasche sein, für die die EU gewisse Schutzregeln gewährt. Doch im Falle Sylts müsste dann klar sein, dass die Insel für ein besonderes, die Gegend prägendes Lebensmittel steht.
Das Bundespatentgericht entschied Mitte 2011, dass ein Betrieb vom fernen Festland seine Waren durchaus »Syltsilber« nennen darf. Begründung: »Bekanntermaßen existieren auf Sylt weder Silbervorkommen noch besitzt die Insel eine eigenständige Silberwarenindustrie beziehungsweise eine ›inseltypische‹ Form der Silberbearbeitung.« Geschützt sind dagegen die eingetragenen Wort-Bild-Marken wie das offizielle Insellogo. (dpa/nd)
Sylter Salatsoße und Wodka riefen die Verbraucherschützer bereits auf den Plan. Auch Foodwatch sieht einen Etikettenschwindel. »Mit regionaler Herkunft darf nur dann geworben werden, wenn dies durch die tatsächliche Herkunft der Zutaten gedeckt ist«, fordert Sprecher Martin Rücker. Der Ursprung aller Hauptzutaten müsse klar werden.
Die Verantwortlichen vom Inselmarketing sagen: »Besser ist es natürlich, das Produkt ›Sylter Art‹ zu nennen, um Missverständnisse direkt auszuschließen.« Ärgerlich seien Fälle einer »offensichtlichen Täuschung, wo alles daran gesetzt wird, dass das Produkt so gestaltet und vermarktet wird, als ob es auf Sylt hergestellt wird oder die Rohstoffe von der Insel kommen«. Die Salatsoße sei ein Beispiel. Sylt ist nicht allein. Gänseleberpastete mit viel Schwein, Rosinen statt versprochener Trauben, Orangensoße nur aus Aromen: Anlass zur Kritik haben die Verbraucherzentralen oft und machen Druck mit ihrem Portal »Lebensmittelklarheit.de«, das Beschwerden auflistet. Die Industrie ist skeptisch. Ihr Dach-Verein »Die Lebensmittelwirtschaft« zeigt sich zwar offen für Gespräche, hält das Portal aber nicht für repräsentativ. Für Wissenschaftler hängt der Trend zur Regionalisierung auch an der Sehnsucht nach Verwurzelung in einer globalisierten Welt. »In der Tat ist es ein weit verbreitetes Phänomen, Produkten eine ›Heimat‹ zu geben«, sagt Monika Kritzmöller. Sie lehrt Soziologie an der Universität St. Gallen und forscht zum Thema. Meist hätten Produkte aber gar keine Heimat mehr, vor allem in Zeiten globaler Produktion. Kritzmöller attestiert der Masse der Kunden ein widersprüchliches Verhalten: »Der Konsument weiß um den werblich erzeugten Schein und gibt sich zugleich der ihm aufgespannten Gegenwelt mehr oder minder bewusst hin.« Die Ursache sei recht einfach: Da heute im Einzelhandel ein unübersichtlicher Überfluss das Bild präge, suchten die Kunden Orientierung. Das öffne dem »Illusionstheater« der Werbung zwar die Tür - sei aber eben auch gewollte Navigationshilfe.
Doch die Hochglanzverpackungen verdrängten die Inhalte, Versprechen zum Wert der Ware lösten sich vom Produkt, erklärt Kritzmöller. So gelinge der Werbung das Kunststück, Schokolade zum Fitnessbringer zu machen. Doch die Verbraucher suchten eben diesen Halt. Schließlich hätten die Supermärkte den Bauern abgelöst, der Produkte früher noch unverpackt höchstpersönlich vom Hof verkaufte oder auf Märkten anpries. Werbung versuche daher heute, Brücken zwischen Hersteller und Kunde zu bauen. Und selbst eine scheinbare Gegenbewegung in den Supermärkten folge eigentlich dem selben Grundprinzip. Wenn Pappschilder neuerdings am Gemüse- und Eierregal den Bauernhof des nahen Lieferanten zeigen, verknüpfe das nur vordergründig wieder Produkt und Inhalt. Vor allem versuche sich die Industrie dabei als ein Sinnstifter - im Fall des Pappschildbauern eben für ein vermeintlich besseres Kundengewissen.
Ob nun Bio, Schnäppchenmentalität, Wellness, Fitness oder fairer Handel - der Griff ins Regal spiegele Lebensstile, sagt Kritzmöller. Und deswegen passt auch Sylt ins Bild. Die Firma hinter der Salatsoße argumentiert, der Name sei nicht irreführend. »Er weist emotional und fantasievoll auf den Produktcharakter, die nordische Eigenart und Geschmacksrichtung des Produktes und auf den Sylter Lebensstil hin.«
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