USA: Schnellgerichte für verdächtige Ausländer

»Außergewöhnliche Notlage« als Begründung für beispiellosen Rechteabbau

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 5 Min.
Kurzer Prozess vor einem Militärrichter unter Ausschluss der Öffentlichkeit - was wie das Standardprozedere in einer Militärdiktatur klingt, ist vergangene Woche Teil des US-amerikanischen Rechtssystems geworden.
Per Verordnung verfügte Präsident George Bush die Einrichtung von Militärgerichten, in denen terrorismusverdächtige Ausländer abgeurteilt werden sollen. Die Sondergerichte können der Verordnung zufolge weltweit abgehalten werden. Bush behält sich das Recht zur Entscheidung vor, ob und welcher Ausländer geheim - innerhalb oder außerhalb der USA - von Militärrichtern abgeurteilt werden kann. Die Öffentlichkeit weiß dabei nicht, wer verhaftet wird, auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse oder Beweise, und sogar das Strafmaß sowie Ort und Zeitpunkt können verborgen bleiben. Gegen die Urteile, die bis zur Todesstrafe gehen können, gibt es keine Berufungsmöglichkeiten. Eine Mehrheitsentscheidung von zwei Dritteln - und nicht einstimmig, wie bei Militärtribunalen sonst üblich - reicht zur Verurteilung aus. Und Bush sowie Verteidigungsminister Rumsfeld können jedes Urteil des Militärgerichts überstimmen. Die USA befänden sich in einer »außergewöhnlichen Notlage«, erklärte Bush seinen drakonischen Vorstoß, und die erfordere außergewöhnliche Maßnahmen. Es sei »wichtig zu verstehen, dass wir uns im Krieg befinden«, erläuterte Justizminister John Ashcroft am Mittwoch in Washington auf einer Pressekonferenz. Normale Zivilgerichte hätten mit Verfahren gegen Terroristen wenig Erfahrung, sagte Ashcroft, der Umgang mit Geheimdienstinformationen sei kompliziert, und zudem sei es »zu gefährlich«, so Ashcroft, Leute wie Osama bin Laden öffentlich zu verurteilen. Terroristen, führte der vermutlich zum mächtigsten Justizminister der Welt aufgestiegene Ashcroft mit der ihm eigenen Holzhammermentalität schließlich aus, hätten den Schutz der US-amerikanischen Verfassung so oder so nicht verdient. Kritik an den geplanten Militärtribunalen - die in dieser Form zuletzt Nazi-Saboteure im Zweiten Weltkrieg abgeurteilt hatten - folgte umgehend, doch angesichts der ungeheuren Tragweite für das Rechtssystem und -verständnis sehr verhalten. Weder Senatoren noch Mitglieder des Repräsentantenhauses seien konsultiert worden, beklagte sich der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Senat, der Demokrat Patrick Leahy. Der demokratische Abgeordnete John Conyers erklärte, »heute stehen wir in diesem Land vor dem Abgrund einer Bürgerrechtskatastrophe«. Sein Kollege von rechts, der republikanische Abgeordnete Bob Barr aus Georgia murrte, »wir sind nicht auf dem Laufenden gehalten worden«. Bürger- und Menschenrechtsorganisationen wie »Human Rights Watch« und die »American Civil Liberties Union« (ACLU) verfassten und versandten Protestschreiben. Ebenso kritisierten große Zeitungen wie die »New York Times«, »Los Angeles Times« und »Washington Post« mit teilweise harschen Worten die Bush-Verordnung. Doch trotzdem wagt es das US-Amerika der politischen Eliten auf dem Washingtoner Kapitolsberg kaum, die Kritik lauter werden zu lassen. Obwohl es sich um die »umfassendste Ausdehnung polizeilicher, geheimdienstlicher und richterlicher Machtbefugnisse seit dem 2. Weltkrieg« handelt, so die Tageszeitung »Christian Science Monitor«, ist die »Opposition bislang klein«. Zwei Gründe gibt es dafür: die beiden Kammern wurden von der Präsidentenorder überrascht und umgangen. Zum anderen herrscht weiter eine Kriegsatmosphäre, und kaum ein Abgeordneter wagt es, aus dem Konsens auszubrechen. Und der wird von der Bush-Regierung immer wieder von Neuem gefordert. Um potenzielle Quertreiber bei der Stange zu halten, bemühte Ashcroft vergangene Woche beispielsweise einen historischen Vergleich. Der »Krieg gegen den Terrorismus« sei wie der Krieg Präsident Kennedys gegen das organisierte Verbrechen, sagte der Justizminister: »Das Justizministerium ließ damals einen verdächtigen Verbrecher dafür festnehmen, dass er auf den Bürgersteig spuckte, wenn dies im Kampf gegen das Verbrechen weiterhalf. Im Krieg gegen den Terror ist es unsere Politik, ähnlich aggressiv vorzugehen, wenn es US-amerikanische Bürger schützt«. Die Militärtribunale sind dabei nur der Höhepunkt einer Reihe von Maßnahmen gegen Ausländer in den USA. Seit dem 11. September haben die Behörden aus bisher nicht veröffentlichten Gründen mehr als 1000 Nicht-US-Amerikaner in den USA festgenommen. Das Justizministerium lehnte es am vergangenen Dienstag erneut ab, der ACLU sowie Senatoren und Repräsentantenhaus-Abgeordneten über das Schicksal der Gefangenen Auskünfte zu erteilen. Zum anderen erhielt Ashcroft die Befugnis, Gespräche zwischen Festgenommenen und ihren Anwälten zu untersagen, »wenn die Konversation eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ist«, sowie für Abhörmaßnahmen. Schließlich wurde eine Liste mit den Namen von mehr als 5000 Männern hauptsächlich arabischer Herkunft erstellt, die in den kommenden Wochen vom FBI in den USA über »Terrorismus ausgefragt« werden sollen. Verschärfte Visa-Bestimmungen für USA-Besucher aus arabischen Ländern sind bereits in Kraft. Die rassistische »Araber«-Politik erinnert immer mehr Kritiker an die kollektive Internierung von 120000 US-Amerikanern japanischer Abstammung, die in den USA während des Zweiten Weltkriegs für Monate in Lager gesperrt wurden. Ein beispielhafter Kommentar erschien am 16. November in der »Sacramento Bee«: »Regierungsmitglieder sagen jetzt unter Zustimmung einiger Verfassungsexperten, alles sei nach US-amerikanischer Verfassung völlig rechtens. Verfassungsrechtlich in Ordnung waren einst auch Sklaverei, die Rechtlosigkeit von Frauen und die Internierung von 120000 Japan-Amerikanern«. Auch jenseits der Heimatfront gehen die Beteuerungsversuche der Bush-Regierung weiter. Während inzwischen Hunderte von USA-Sondereinheiten des Militärs und der CIA in Afghanistan an vorderster Front mitmischen und -bestimmen, behauptet die Bush-Regierung, auf die Krieger der »Nordallianz«, die sich in der Hauptstadt Kabul breitmachen, Druck auszuüben. »Sehr, sehr hart« würden US-amerikanische und russische Diplomaten auf die »Nordallianz« Druck ausüben, sagte Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice am Samstag nach einer Konferenz des »Nationalen Sicherheitsrats« mit Bush. Er und der russische Präsident Putin legten größten Wert darauf, dass die »Nordallianz« nicht gegen den Willen der UNO eine eigene Regierung aufstelle. Ein Bush-Sprecher sagte, man werde »diese Botschaft weiterhin übermitteln«. Die Suche nach Osama bin Laden und seinen Untergebenen geht indes ebenso weiter, wie die Diskussion, welche Ziele außerhalb Afghanistans als nächste im »Krieg gegen den Terrorismus« angegriffen werden sollen.
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