Die Schuld wird hin und her geschoben

Der syrische Staat und seine Gegner bezichtigen sich gegenseitig des Einsatzes von Giftgas

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Die syrische Armee soll am Mittwochmorgen östlich von Damaskus auch mit chemischen Waffen gegen Aufständische vorgegangen sein. Medien der Auslandsopposition sprechen von Hunderten Todesopfern. Syriens Regierung bestreitet nicht ihr militärisches Vorgehen, wohl aber den Einsatz von Giftgas.

Die britische Nachrichtenagentur Reuters beruft sich in ihrem Bericht am Mittwoch auf eine Krankenschwester aus Douma. Diese habe erklärt, die meisten der Opfer seien Frauen und Kinder gewesen. »Ihre Pupillen waren vergrößert, ihre Glieder kalt, und sie hatten Schaum vor dem Mund«, heißt es weiter. Es handele sich um »typische Symptome bei Opfern von Nervengas«. Der russische Fernsehsender Russia Today meldete unter Berufung auf Anwohner, sie hätten Gewehrfeuer gehört. Von einem Giftgasangriff sei ihnen nichts bekannt. Andere Auslandssender wie der Emiratekanal Al Arabija stützen die Horrormeldungen sogenannter »Revolutionärer Lokaler Koordinationskomitees« der Opposition, die Filmmaterial über YouTube und Fotos mit zahlreichen Getöteten ins Netz stellten. Bereits am Dienstag hatte die syrische Nachrichtenagentur SANA über eine massive Operation der syrischen Streitkräfte in verschiedenen Vororten östlich von Damaskus berichtet. Unter der »großen Zahl getöteter Terroristen« seien viele ausländische Kämpfer gewesen.

Während sich Experten zum möglichen Einsatz von chemischen Waffen in Syrien zurückhaltend äußern, spricht die oppositionelle Nationale Koalition in einer Presseerklärung von Istanbul aus von einem »systematischen Einsatz chemischer Waffen« durch die syrischen Streitkräfte. Dabei beruft sie sich auf Aussagen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Türkei, die »den Einsatz von chemischen Waffen an verschiedenen Orten in Syrien« festgestellt haben wollen.

Die syrische Regierung hatte im März die Entsendung eines UN-Expertenteams erbeten, um den Vorwurf des Einsatzes von Waffen mit chemischen Substanzen am 19. März in Khan al-Assal in der Provinz Aleppo zu untersuchen. Damaskus reichte dazu Proben und Zeugenberichte ein, die belegen sollten, dass Aufständische das Gift eingesetzt hätten. Damals starben 30 Menschen. Die Guerilla erklärte, die Armee sei für den Angriff verantwortlich gewesen. Frankreich und Großbritannien hatten für die Inspektoren landesweit freien Zugang zu jedem Ort gefordert, militärische Einrichtungen inklusive. Das wiederum lehnte Damaskus ab, das Expertenteam musste warten. In der Folgezeit wurden von Seiten der Aufständischen immer mehr Giftgaseinsätze gemeldet. Mit dem aktuellen Ereignis lägen der UNO inzwischen 14 Fälle vor.

Russische Experten übergaben dem UNO-Sicherheitsrat im Juli einen eigenen Untersuchungsbericht zu Khan al-Assal. Danach sollen die Aufständischen auf selbst gebaute Raketen Sprengköpfe mit Giftgas montiert und abgefeuert haben. Die USA widersprachen dem. Nach ihren Erkenntnissen hätten die syrischen Streitkräfte den Angriff selbst verübt. Paulo Pinheiro, Leiter der UN-Untersuchungskommission über die Verletzung von Menschenrechten in Syrien, erklärte dazu lediglich, die von den USA vorgelegten Erkenntnisse entsprächen nicht den vorgeschriebenen Standards.

US-Präsident Barack Obama hatte den Einsatz von Chemiewaffen durch Syrien voriges Jahr als »rote Linie« bezeichnet, die die USA zum militärischen Eingreifen zwinge. Der außenpolitische Sprecher der LINKEN im Bundestag, Jan van Aken, sagte, man müsse »damit rechnen, dass die Rebellen alles daransetzen, einen Chemiewaffenangriff vorzutäuschen oder gar selbst auszulösen, um damit einen Kriegseintritt der USA zu provozieren«. Schon deshalb sei ein Chemiewaffeneinsatz von Seiten der Armee »in höchstem Maße irrational«.

Vergangene Woche hatte die syrische Regierung den von der UNO verlangten Bedingungen für die Arbeit des Expertenteams in Syrien zugestimmt. Drei Orte sollen erkundet werden, darunter Khan al-Assal. Zunächst geht es lediglich um die Feststellung, ob Giftgas eingesetzt wurde. Die derzeit auf zwei Wochen anberaumte Mission kann in beiderseitigem Einvernehmen verlängert werden.

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