Durchgegenderte Fresspakete für sie und ihn
Cremig, rauchig, süßlich, würzig: Kartoffelchips jetzt mit Geschlechtertrennung
Was wären wir nur ohne die kakelbunte Welt des Konsums. Orientierungslos in jederlei Hinsicht, wortkarg und tödlich gelangweilt würden wir dahin stolpern in einer eintönigen grauen Ödnis ohne Abwechslung, Spaß und Sexyness; ohne Jubel, Trubel und Heiterkeit. Und aus welch vielfältigen Richtungen uns erklärt wird, was statthaft ist, was weiblich, männlich, kindlich ist. Man glaubt es kaum.
Vor ein paar Wochen warf eine Kaufhallenkette geschlechterspezifisches, stäbchenförmiges Grillgut auf den Markt. Leider saß ich da grade auf dem Boden des journalistischen Sommerlochs und die pinkgewaschenen Diät-, pzw, Waschbrettbauch-Bratwürste winkten nur hämisch grinsend von dessen Rand zu mir herunter. Aber schließlich ist den Vermarktungsbüros bekanntlich nichts zu absurd, deswegen plautzte gestern bereits das nächste durchgegenderte Fresspaket auf meinen Bildschirm.
»Die «Chio Mädelsabend»-Chips mit Creamy Paprika schmecken cremig und süßlich-pikant. Chio Flamed BBQ, die Männer-Chips, dagegen sind rauchig, würzig und saftig. Auch das Design passt sich den Geschlechter-Stereotypen an.« Sagt jedenfalls dieser Text.
Schön. Geschmack gemäß den Geschlechter-Stereotypen. Da können alle Mädels zwischen 15 und 45 jetzt bei zahllosen Tüten Kartoffelrösti von rauchigen (Lagerfeuerromantik!), würzigen (Dreitagebärte und Waldschratcharme!) und saftigen (der kann bestimmt gut küssen!) Männersachen träumen. Und die Männer von so cremigen (weiße Pfirsichhaut?) und süßlich-pikanten (in den Haaren rosa Schleife – in der Nachttischschublade Handschellen) Frauen. Oder halt gleich vom … cremigen, süßlich-pikanten Sex mit ihnen. Männer sind ja bekanntlich eher einfach gestrickt und brauchen so Firlefanz wie hocherotische Symbolik gar nicht erst. Und überhaupt: Die Packungen sind ja gar nicht 100 Prozent durchdesignt. Verwendet wird immer noch die öde Folie statt eines Organza-Schmuckbeutels in creme-pink, nicht mal kleine rosa Tüllapplikationen mit kleinen rosa Kaugummi-Perlen (für die Gewährleistung des Rumknutschens. Während des oder nach dem Mädelsabend) haben sie sich ausgedacht. Die Männerpackung ist genauso langweilig. Das übliche Chio-rot, keine Grillzange baumelt dran, auch kein »Wie-krieg-ich-sie-rum-trotz-Chips-Atem-Miniguide«. Fad›.
Vermutlich sollte ich ein Nachsehen haben. Chio ist ja auch schon 51. Als 1962 die ersten Chips auf den Markt kamen, waren die hier angepriesenen Eigenschaft von Frauen und Männern vielleicht noch angesagt. Petticoatkleider und gepunktete Pumps feiern schließlich auch ein Comeback. Das allerdings mit wesentlich größerem Rock‹n›Roll-Faktor. Knusper, knusper.
Gegen ähnlich durchgestylte Werbung wird übrigens am Sonntag in Berlin demonstriert. Ich freu mich schon.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.