Der Mann mit dem Speichelfaden

Der Comic-Künstler und einstige Außenseiter Robert Crumb wird 70

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 5 Min.

Die heile Welt ist nicht gerade seine Sache, eher die beschädigte: Die USA, das Land, in dem Robert Crumb aufgewachsen ist, sind in seinen Werken ein von Bigotterie und Gewalt gekennzeichneter Staat, dessen psychisch angeschlagenes Personal sich bestens zum Verspotten eignet.

Was wurde dem Brueghel-Verehrer Crumb nicht alles angekreidet: Obszönität, Pornographie, bösartiges Schmutzfinkentum. Und das alles nur, weil er schon in jungen Jahren gern voluminöse Frauenbeine beim Geschlechtsakt und weibliche Brustwarzen »in der Größe von Säuglingsfäusten« (»Vanity Fair«) zeichnete.

Dabei ist es die Aufrichtigkeit seiner Kunst, die ihn, den Erfinder des dauergeilen Katers »Fritz the Cat«, vom einstigen Freak aus der US-amerikanischen Gegenkultur zum heute in Museen ausgestellten Pop-Art-Künstler werden ließ: Die Welt ist obszön, pornographisch, schmutzig. Es muss auch Leute geben, die sie uns schonungslos zeigen.

Mit seiner zweiten Ehefrau, der Künstlerin Aline Kominsky-Crumb, mit der er seit über 40 Jahren zusammen ist, lebt der Zeichner heute in Paris. Dort schreiben und zeichnen sie gemeinsam. Crumb: »Ich fragte mich, wie ich Onan dabei zeigen sollte, wie er seinen Samen auf die Erde fallen lässt. Ohne ihn, naja, verstehen Sie, tatsächlich dabei zu zeigen, wie er sich einen runterholt. Ich fragte diesbezüglich also meine Frau um Rat, und sie sagte: ›Oh, zeig ihn einfach von der Seite. Du musst ihn nicht dabei zeigen, wie er seinen Schwanz hält oder so was.‹« Eine Ehe, in welcher der eine auch beruflich stets hilfreich dem anderen zur Seite steht, wo gibt es so etwas heute noch.

Crumb hat seine männlichen Figuren stets vergleichsweise ungeschönt aufs Papier gebracht: Nicht selten hängt ihnen ein Speichelfaden vom unrasierten Kinn oder ihre Physiognomie ist von Gefühlen der Gier, der Geilheit oder der Verzweiflung verzerrt.

Vor allem sich selbst stellt Robert Crumb in seinen autobiographischen Bildergeschichten - etwa in »Mein Ärger mit den Frauen« - bevorzugt als verkorksten, verklemmten und von zahlreichen Minderwertigkeitskomplexen gepeinigten schmächtigen Hornbrillenträger dar, dem verwachsene Vorderzähne aus dem Gesicht ragen, kalter Schweiß über die Wangen rinnt und der sich allein beim flüchtigen Gedanken an die üppigen weiblichen Körper in seiner Nähe am Rand eines Nervenzusammenbruchs wiederfindet. Denn getrieben wird er von seinen sexuellen Begierden und Ängsten. In Crumbs Fall sind es hochgewachsene Frauen mit großen Gesäßen und strammen Waden, die ihn nahezu um den Verstand bringen, die er nicht müde wird zu begeifern und auf Zeichnungen festzuhalten: hünenhafte, dralle Erscheinungen sind es, »Fruchtbarkeitsgöttinnen«, wie Crumb sie wiederholt nennt.

»Wahre Geschichte: Wie ich mit 13 sexbesessen und pervers wurde!!« Mit diesen Worten ist eine Geschichte von ihm untertitelt, in der er - wie er das häufig getan hat - Szenen aus seiner Kindheit und Jugend erzählt: von seinen strengen, kleinbürgerlichen Eltern, von der katholischen Erziehung, von den fürchterlichen Qualen des Pubertierenden, von der massiven Angstlust, die ihn bereits in frühester Jugend überkommt, wenn stämmige, athletische Frauenbeine in seinen Blick geraten, von den männerbündischen Pubertätsritualen und Prahlereien der gleichaltrigen stumpfsinnigen Alphamännchen, denen er fernzubleiben sucht und die ihn abstoßen, vom Drama des nicht ruhenden Geschlechtstriebs des einsamen, sensiblen Jünglings, dessen ungelenke ans andere Geschlecht gerichtete Kommunikationsversuche scheitern. Es ist eine Tragödie.

Crumb, der sich in den 60er Jahren als sogenannter Underground-Comiczeichner einen Namen machte und mit seiner drastischen Komik die Szene verwirrte und faszinierte, indem er schonungslos seine sexuellen Obsessionen und Neurosen in seinen Comic Strips thematisierte und sich abreagierte, indem er sie per Zeichenstift zu bannen suchte, hat nicht nur die Grenzen des Erzählbaren im Comic erweitert, er hat auch endgültig aufgeräumt mit der bis heute von geistig vernagelten Konservativen immer wieder zwanghaft vorgetragenen Lüge, dass das Erzählen mit Bildern eines sei, das »primitiv« bzw. »infantil« sei.

Der von Crumb liebevoll illustrierte Prosaessay »Kafka« des Hörspielautors David Zane Mairowitz etwa mischt freimütig biographische Episoden aus dem Leben des Schriftstellers Franz Kafka mit Auszügen aus dessen Romanen und Erzählungen und verschmurgelt all das zu einem runden Ganzen. Zugleich wird eine Interpretation des Kafkaschen Werks angeboten und auf dessen Ausverkauf angespielt: »Wie die Mozartkugel in Salzburg«, schreibt Mairowitz, »so wird man früher oder später auch hier, in Prag, Kafkas Konterfei auf einem Schokoladenriegel wiederfinden können.« Oder auf Karamellbonbons mit Kaffeegeschmack, so möchte man hinzufügen.

Crumb hat für diesen Band alptraumartige, suggestive Bilder beigesteuert, die sein persönliches Wahnuniversum in gelungener Weise mit dem absurden Kosmos von Kafka verzahnt. Zeichnungen, die an die düsteren Illustrationen von Kafkas Zeitgenossen Alfred Kubin denken lassen. Die Straßenszenen und Interieurs sind hie und da von einer Nachtschwärze durchsetzt, welche die sinistren Figuren meist diffus verloren und dem Nichts ausgeliefert erscheinen lassen: der unsichere eingeschüchterte Jüngling zwischen seinen greisenhaften Eltern, die anstelle der Augen schwarze Höhlen haben; die maulwurfartige Kreatur, der vor Todesangst die Augen aus den Höhlen treten; der ans Bett gefesselte Sterbende mit vor Entsetzen starrem Blick; der von seinem Unbewussten gequälte schlaflose Begehrende, dem riesenhafte Schweißperlen auf dem Gesicht stehen.

»Kafkas Themen - wie der Selbsthass, seine Beziehung zu Frauen, die Schuldfrage - sind auch meine. Er ist mein Bruder im Geiste«, sagte Robert Crumb einmal. Sein Werk, von keinem Geringeren als Harry Rowohlt übersetzt, wird derzeit vom Verlag Reprodukt neu aufgelegt.

Heute wird Robert Crumb 70 Jahre alt. Bereits Anfang August wurde Aline Kominsky-Crumb 65.

Robert Crumb: A Tribute to Robert Crumb. Edition 52, 100 S., 20 €.
Robert Crumb: Mein Ärger mit den Frauen. Reprodukt, 96 S., 29 €.
Robert Crumb / David Zane Mairowitz: Kafka. Reprodukt, 175 S., 17 €.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -