Ohne Handschuhe keine Wurst
Ein Drittel aller Lebensmittelbetriebe hat Nachholbedarf bei der Hygiene
Gammlige Kühlschränke, wochenlang benutztes Bratfett oder die berüchtigte Ratte im Vorratsspeicher sind die absoluten Ausnahmen, aber die Liste der Beanstandungen der Lebensmittelkontrolleure, die im letzten Jahr in über 20 000 Betrieben, Imbissen und Restaurants in der Stadt unterwegs waren, ist dennoch lang.
Fast 44 500 Mal haben Mitarbeiter der Berliner Bezirke im vergangenen Jahr kontrolliert, notiert und ermahnt - und immer wieder Nachholbedarf bei der Hygiene festgestellt. Bei den Routinekontrollen 2012 seien in 29 Prozent der untersuchten Betriebe Verstöße vermerkt worden, sagte Berlins Verbraucherschutzsenator Thomas Heilmann (CDU) bei der Vorstellung des Jahresberichts des Landeslabors Berlin-Brandenburg am Montag.
Am häufigsten wurden mit 6049 Fällen die allgemeine Hygiene sowie mit 3638 Fällen das Hygienemanagement, beispielsweise die Schulung von Mitarbeitern oder ein fehlender Aushang der Hygienevorschriften beanstandet. Die Kontrolleure hätten zum Beispiel vermerkt, wenn »die Fleischverkäuferin die Wurst mit der Hand anpackt«, sagte Heilmann. Doch nicht immer müssten die Verstöße so deutlich sein: Selbst wenn ein Betrieb gründlich reinige, dies aber nicht dokumentiere, sei dies ein Verstoß, erläuterte der Senator. Weit weniger häufig fanden die Kontrolleure falsch gekennzeichnete Produkte oder Lebensmittel, die Rückstände von nicht erlaubten Stoffen aufwiesen.
»Wir verfolgen seit einigen Jahren europaweit einen risikobasierten Ansatz«, sagte Heilmann. Dies bedeute, dass in erster Linie die Betriebe kontrolliert würden, wo das Risiko für Beanstandungen am höchsten eingeschätzt wird. Das betrifft vor allem Geschäfte, in denen rohes Hackfleisch verarbeitet wird oder Lieferdienste für Altenheime.
Auf dieser Basis seien 2012 insgesamt 52 Prozent der insgesamt rund 53 300 mit Lebensmitteln arbeitenden Betriebe in Berlin untersucht worden, sagte Heilmann. Die Quote der Verstöße sei in den vergangenen drei Jahren etwa gleich geblieben. Die amtlichen Kontrollen erfassen alle Stufen der Lebensmittelherstellung: Erzeuger- und Herstellerunternehmen werden genauso kontrolliert wie die Lagerung, die Beförderung und der Verkauf.
Nicht in der Statistik des Jahresberichts finden sich die Untersuchungen, die aufgrund von akuten Verdachtsfällen gemacht wurden. Darunter fallen zum Beispiel das durch Erdbeeren im Schulessen ausgebrochene Norovirus sowie die EHEC-Infektionen oder der in der ersten Hälfte des laufenden Jahres aufgedeckte Pferdefleisch-Skandal.
Die Untersuchung solcher Fälle macht etwa 20 Prozent der Arbeit des Landeslabors in Bezug auf die Lebensmittelsicherheit aus - laut Heilmann mit ein Grund, warum die Überprüfungsquote seit Jahren bei nur etwa 50 Prozent liegt. »Das Problem liegt aber auch in der Personalstärke der Bezirke«, räumte Heilmann ein. Einige Bezirke benötigten bis zehn Planstellen mehr für den Bereich der Lebensmittelkontrolle. Gerade in Pankow und Mitte, die eine Vielzahl an Restaurants und Gaststätten beherbergen, fallen deshalb viele Betriebe durchs Raster. In der Senatskanzlei arbeitet man unterdessen an einem Gebührensystem, das Betriebe an den Kosten der Kontrollen beteiligen soll und so Geld in die Bezirkskassen gespült wird.
Das Smiley-System, mit dem einige Bezirke bisher ihre Lebensmittelkontrollen online veröffentlichten, wird es wegen zahlreicher juristischer Auseinandersetzungen in anderen Bundesländern in Berlin vorerst nicht wieder geben. Die Webseite »Sicher Essen in Berlin« hat der Senat bereits eingestellt.
Das Landeslabor selbst steht indes vor umfangreichen Erneuerungen. Der asbestbelastete Bau am Hauptbahnhof soll in den nächsten Jahren abgerissen werden. Zudem sollen die Standorte in Berlin und Frankfurt (Oder) gebündelt werden, fest steht laut Heilmann schon die Schließung der Niederlassungen in Potsdam, Kleinmachnow und Oranienburg.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.