Später Erfolg für entlassene Belegschaft
Französisches Schiedsgericht: Schließung des Continental-Werks Clairoix war ungerechtfertigt
Die Schließung des Continental-Standorts Clairoix beim nordfranzösischen Amiens 2010 und die Entlassung der fast 700 Mitarbeiter war wirtschaftlich nicht gerechtfertigt und verstieß damit gegen geltendes Recht. Das entschied die Schiedskommission der Prud’hommes, eine der Justiz vorgeschaltete und paritätisch durch die Sozialpartner besetzte Instanz für Arbeitsrechtsfragen.
Dreieinhalb Jahre nach der Schließung des Reifenwerks, das von der deutschen Konzernführung ganz offensichtlich nur aufgegeben wurde, weil es nicht die Renditeerwartungen erfüllte, sind die meisten der entlassenen »Contis«, wie sie am Ort nur genannt werden, nach wie vor arbeitslos. Nach dem Schiedsspruch haben jetzt aber alle Ex-Belegschaftsmitglieder Anspruch auf eine Abfindung, die sich je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit von 17 000 bis 90 000 Euro staffelt.
»Doch das Wichtigste ist, dass festgestellt wurde, dass Continental die Krise nur zum Vorwand genommen hat, um eine Fabrik zu schließen«, erklärt Anwältin Alexandra Soumeira, die die Belegschaft und ihren Betriebsrat vor den Prud’hommes vertreten hat. »Es steht fest, dass die Verantwortung dafür, dass die französische Filiale geopfert wurde, bei der deutsche Konzernführung liegt. Sie legte die Strategie fest und dazu gehörte die Art und Zahl der zu produzierenden Reifen und wie dieses Produktionsvolumen unter die Werke in den verschiedenen Ländern aufzuteilen war.«
Eine wesentliche Rolle bei der Urteilsfindung spielte auch, dass Continental mit der Schließung 2010 ein drei Jahre zuvor mit dem Betriebsrat geschlossenes Abkommen brach, wonach die Direktion im Gegenzug zu einer auf 40 Stunden erhöhten Wochenarbeitszeit eine Beschäftigungsgarantie bis mindestens 2012 abgab. Außerdem stellten die Prud’hommes fest, dass Continental gegen geltendes Arbeitsrecht verstoßen und sich nach der Entlassung der Belegschaft nur ungenügend um Ersatzarbeitsplätze bemüht hat. 80 Prozent der »Contis« wurde kein ernsthaftes Angebot gemacht.
Für die Belegschaft und ihre Gewerkschafter, allen voran Ex-Betriebsratsvorsitzender Xavier Mathieu von der CGT, hat der Erfolg vor dem Schiedsgericht einen herben Beigeschmack. »All das kommt viel zu spät«, meint er. »Das ist eher ein symbolischer Sieg.« Die Schäden, die die Schließung bei den »Contis« und ihren Familien angerichtet habe, könnten nicht wiedergutgemacht werden. »Bis heute hat es unter uns bereits mehrere Selbstmorde und mehr als 250 Scheidungen gegeben. Von den einst 678 Mitarbeitern des Werks sind heute noch rund 500 arbeitslos und ohne Aussicht auf einen neuen Job. Statt der Abfindungen hätten wir lieber unsere Arbeitsplätze zurück, aber die sind auf immer vernichtet.«
Der Konzern prüft unterdessen, ob er in Berufung gehen wird.
Damit sich Fälle wie in Clairoix nicht wiederholen, bestimmt ein Gesetzentwurf der Linksregierung, der im Herbst im Parlament behandelt werden soll, dass wirtschaftlich lebensfähige Filialen nicht geschlossen werden dürfen. Aber auch bei defizitären Unternehmen muss vor der Schießung zunächst ein Übernahmeangebot an die Belegschaft gemacht und dann nach externen Kaufinteressenten gesucht werden. Außerdem darf sich keine Firma weigern, eine Filiale notfalls auch der Konkurrenz zum Kauf anzubieten. Die Erhaltung der Jobs hätte demnach absoluten Vorrang.
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