Aufstieg der ewigen Verliererin
Jungnationalspielerin Jennifer Geerties durchlief eine Volleyballschule voller Niederlagen, bei der EM feiert sie jetzt Erfolge
Für Jennifer Geerties hat das beschauliche Halle in Westfalen in diesen Tagen einen Hauch von Hollywood bekommen. »Ich fühle mich wie im Film. Alles ist total aufregend«, sagt die junge Frau mit leuchtenden Augen. Sie ist gerade 19 Jahre alt und spielt als jüngste Darstellerin in einer Geschichte mit, die den Titel »Projekt Gold« trägt. Die deutschen Volleyballerinnen sind schließlich bei ihrer Heim-Europameisterschaft mit dem Ziel angetreten, erstmals seit 26 Jahren ein großes Turnier zu gewinnen.
Die Ouvertüre des Streifens ist überaus gelungen. Die ersten drei Spiele der Vorrunde wurden gewonnen, die Zuschauer sind begeistert. Live waren in Halle insgesamt 17 200 Fans bei den drei Spielen im Stadion, bei den TV-Übertragungen im Spartensender Sport1 bis zu 500 000 Zuschauer - das sind für Volleyballerinnen hierzulande Rekordwerte. Und Jennifer Geerties ist mittendrin im Geschehen.
Im entscheidenden Gruppenspiel gegen die Türkei wurde die zierliche Außenangreiferin bei einem großen Rückstand im zweiten Satz eingewechselt. Nachdem sie dreimal in Serie die Annahme verpatzt hatte, trug das »Küken« mit starken Angriffen doch noch entscheidend dazu bei, dass der Durchgang gewonnen wurde und es am Ende ein Happy End gab.
»Es ist eine unglaublich tolle Stimmung in der Mannschaft. Die anderen helfen mir ganz viel und geben mir Vertrauen«, erzählt Geerties. Sie könne all das, was gerade um sie herum passiert, noch gar nicht richtig glauben. Es ist ja auch gerade mal ein Jahr her, dass ihr schon als 18-Jährige das Ende der noch so jungen Volleyballkarriere drohte. Nach monatelangen Rückenschmerzen, gegen die auch permanente Physiotherapie nicht hatte helfen können, musste das Ausnahmetalent im Juli 2012 wegen eines Bandscheibenvorfalls operiert werden. Ein nicht ganz ungefährlicher Eingriff, aber bei der 1,86 Meter großen Geerties bewirkte er offenbar Wunder: »Ich bin nach der OP aufgewacht und hatte gleich keine Schmerzen mehr. Das war ein sensationelles Gefühl.«
Im September 2012 spielte sie schon wieder Volleyball und machte danach mit einer starken Saison beim Ausbildungsteam VCO Berlin so sehr auf sich aufmerksam, dass sie ab der kommenden Spielzeit beim Spitzenklub Rote Raben Vilsbiburg aufschlagen wird - auch wenn das mit den Spitzenleistungen in den vergangenen Jahren gar nicht so einfach war. 21 von 22 Spielen verlor das Berliner Nachwuchsprojekt des Deutschen Volleyball-Verbandes in der Bundesliga. Eine ziemlich harte Schule, auch für Jennifer Geerties. »Wenn du immer wieder 3:0 auf den Sack kriegst, ist das schon deprimierend«, sagt sie: »Aber es bringt auch viel, wenn du dich immer mit Besseren misst. Und ich hatte ja auch immer ein Ziel: diesen Sommer.«
Dabei hatte sie eigentlich nur an Einsätze in Nachwuchsauswahlteams gedacht - 2011 führte sie die deutsche Jugendnationalmannschaft als Kapitänin zu den Plätzen vier und fünf bei den Europa- und Weltmeisterschaften. Doch zwei Jahre später dann steht sie plötzlich im Aufgebot von Bundestrainer Giovanni Guidetti für die Heim-EM. Eine für sie immer noch kaum fassbare Entwicklung der Geschehnisse. »Im letzten Jahr war ich froh, dass ich überhaupt wieder spielen kann - und jetzt bin ich bei der EM dabei. Wenn mir das jemand gesagt hätte, hätte ich ihm einen Vogel gezeigt.«
Es kann sogar noch besser kommen: Gewinnt die deutsche Mannschaft am Mittwochabend auch noch ihr Viertelfinale gegen den Sieger der Partie Niederlande gegen Kroatien (nach Redaktionsschluss), reisen Geerties mit dem Team zur Finalrunde in ihre alte Heimat Berlin. »Dann werden viele Freunde vom VCO und aus dem Internat in die Max-Schmeling-Halle kommen«, sagt sie. Auch das Finale steigt in Berlin. Die nächste Gelegenheit zum Happy End.
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