Anabolika aus Nachbars Garage

Immer mehr gefälschte Medikamente kommen auf den Markt und gefährden sorglose Verbraucher

  • Silvia Ottow
  • Lesedauer: 3 Min.
Einen neuen Rekord erreichen nach Angaben von Apothekern, Zollkriminalbeamten und Herstellern die Mengen gefälschter Arzneimittel, die im ersten Halbjahr 2013 entdeckt worden sind: 1,4 Millionen Tabletten, Pulver und Ampullen.

Vergangene Woche in einer Garage in Hessen: Kriminalfahnder heben ein Labor zur Herstellung von Anabolika aus. Vorgestern am Flughafen Frankfurt (Main): Bei einem 19-jährigen indischen Passagier aus Neu Delhi findet der Zoll 13 000 verschreibungspflichtige Tabletten. Sie waren für den Verkauf in einem Webshop gedacht.

Laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) lebt gefährlich, wer sich im Netz Arzneimittel besorgt ohne darauf zu achten, ob er an eine zertifizierte Versandapotheke oder einen dubiosen Hersteller gerät. Jedes zweite im Internet gekaufte Medikament sei eine Fälschung, so die WHO. Zollkriminalamt und Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) stellten gestern in Berlin besorgniserregende Zahlen vor: In der ersten Hälfte dieses Jahres wurden gegenüber dem Vorjahr 20 Prozent mehr Arzneimittelfälschungen entdeckt. Da lediglich mit Hilfe von Stichproben oder in zeitlich begrenzten Aktionen danach gesucht wird, dürfte der tatsächliche Umfang um ein Vielfaches größer sein.

Gefälscht werde alles, was schöner, schlanker, stärker mache, so Peter Keller vom Zollkriminalamt. Neben Potenz- und Schönheitsmitteln würden immer mehr Schlaftabletten, Antidepressiva oder HIV-Arzneien nachgemacht. In einigen Fällen, berichtet Arzneimittelexperte Martin Schulz von der ABDA, hätten sogar unwirksame Mittel gegen Krebs oder verunreinigte Blutgerinnungshemmer in den traditionellen Weg der Medikamente vom Hersteller über den Großhandel in die Apotheke geschleust werden können. Zahlreiche Patienten starben.

Gefälschte Medikamente können ohne Wirkstoff sein, aber auch den falschen, zu viel oder zu wenig Wirkstoff sowie bedenkliche oder giftige Substanzen enthalten. Martin Schulz berichtete von einem Internet-Potenzmittel namens Dorovit, für das nur natürliche Inhaltstoffe wie Ginseng, Zink oder Ingwer angegeben werden, das aber nach Untersuchungen im Zentrallabor der Apotheker Sildenafil enthält, eine gefäßerweiternde Substanz, die als Viagra bekannt ist und für Menschen mit Herzerkrankungen oder Schlaganfall lebensgefährlich sein kann.

Der illegale Handel mit gefälschten Medikamenten nehme immer mehr zu und drohe, den Rauschgifthandel von seinem Spitzenplatz zu verdrängen, erklärte der Zollbeamte Peter Keller. Dafür seien vor allem die hohen Profite verantwortlich. Habe der Schmuggler beim Rauschgift eine Gewinnspanne von 2500 Prozent, könne er bei gefälschten Medikamenten wie beispielsweise Viagra bis zu 47 000 Prozent Gewinn erzielen. Hinzu käme, dass Rauschgifthandel international verfolgt werde, während dies bei illegalen Medikamentengeschäften aufgrund unterschiedlicher nationaler Gesetze noch nicht so sei.

Im Juni dieses Jahres seien innerhalb einer Woche in 100 Staaten 9,8 Millionen gefährliche Medikamentenfälschungen entdeckt worden. Mehr als 9000 Internetseiten, die auf illegale Versandhändler verlinkt hatten, wurden abgeschaltet. Da sie jedoch nach Angaben des Zollkriminalamtes meist unter abgeänderten Adressen schnell wieder neu eingerichtet würden, sollten Verbraucher sehr wachsam sein. Sie machen sich Zollkriminalamtssprecher Wolfgang Schmitz zufolge auch strafbar, wenn sie gefälschte Ware kaufen.

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