Aus dem Schatten des Vaters
Martin Emmrich emanzipiert sich mit seinem Davis-Cup-Debüt von der Tennislegende der DDR
Solange sich Martin Emmrich erinnern kann, war er der Sohn seines erfolgreichen Vaters. Ein guter Tennisspieler - klar. Aber stets im Schatten des übermächtigen Rekordmeisters der DDR. Wo Martin Emmrich auch hinkam, der Ruf seines Vaters Thomas war ihm bereits vorausgeeilt. Bis zu diesem Wochenende: In der Davis-Cup-Relegation gegen Brasilien in Neu-Ulm schlägt Martin, der den Spitznamen »Ossi« mit Stolz trägt, im Doppel als erster der Familie Emmrich für eine deutsche Nationalmannschaft auf und freut sich beinahe diebisch darüber: »Jetzt schaut mein Vater zu mir auf.«
Mit 28 Jahren feiert Martin Emmrich heute Premiere, wenn er mit Daniel Brands gegen das Weltklassedoppel Bruno Soares/Marcelo Melo antritt. Auf der Tribüne werden ihn Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer anfeuern, die im Einzel Punkte holen sollen. Kohlschreiber besorgte am Freitag mit dem 6:3, 7:5, 6:4 gegen Rogerio Silva das 1:0. »Ich habe immer davon geträumt, für mein Land zu spielen«, sagt Emmrich, »das war meinem Vater nie vergönnt.«
So sehr sich die DDR um die Förderung der olympischen Sportarten bemühte, so sehr fiel Tennis durch die Fördermaschen. Goldmedaillen gab es lange Zeit nicht zu gewinnen, also durfte Thomas Emmrich nicht ins kapitalistische Ausland reisen. Zwar bezwang er den späteren Ersten der Weltrangliste, den Tschechen Ivan Lendl, Tennisgeschichte schrieben jedoch andere bei den Grand Slams in Melbourne, Paris, London und New York.
Dort schlägt mittlerweile auch Sohn Martin Emmrich auf - wieder etwas, das er seinem Vater voraus hat. »Der große Wunsch meines Vaters war außerdem, ein Spiel bei Eurosport live zu kommentieren. Auch das habe ich vor ihm erreicht«, sagt der Junior. Dabei klingt der Doppelspezialist nicht verbittert oder gar gehässig. Es könne ja niemand etwas dafür, dass er der Sohn seines Vaters sei: »Ganz generell ist es unglaublich toll, was mein Vater geleistet hat. Durch ihn haben sich für mich viele Türen geöffnet.
Doch der Schatten war immer da. Also packte Martin seine Sachen und verließ die Heimat Magdeburg. «Als er 17 war, musste ich ihn wegschicken», erzählte Thomas Emmrich: «Hier gab es einfach zu wenig Trainingspartner.» Drei Jahre später kehrte Martin zurück, die Karriere lag am Boden, seine Hoffnungen auf eine Profilaufbahn waren zerstört. Vor der Partie gegen Brasilien erinnert er sich an jene Zeit: «Ich hatte noch genau 35 Euro auf meinem Konto übrig. Ich saß in meiner Wohnung in Köln und hatte überhaupt keine Ahnung, wie ich die nächste Miete bezahlen soll.»
Die Familie baute ihn wieder auf. Vater Thomas kümmerte sich um das Training, Mutter Monika, selbst eine mehr als passable Tennisspielerin, kochte für ihren Sohn. Dem Vater kam schon damals der Gedanke, Martin müsse sich aufs Doppel konzentrieren. «Das wollte ich aber noch nicht wahrhaben», sagt Martin. Es dauerte eine Weile, bis er von dem Plan überzeugt war, heute ist er seinem Vater «unendlich dankbar. Ohne ihn wäre ich nicht hier. Er hat den Grundstein gelegt, mir die Technik beigebracht und mich zum Doppel gebracht.»
Von seinen Erfolgen im Doppel kann Martin Emmrich mit zwei Saisonsiegen (Düsseldorf, Kitzbühel) mittlerweile sogar ganz gut leben. «Ich kann etwas zur Seite legen, aber einen Porsche kann ich mir nicht leisten», sagt der Weltranglisten-35.. «Wenn Sie Philipp Kohlschreiber fragen, wird er wahrscheinlich antworten, dass ich nichts verdiene.» Den Respekt hat er sich im Team nach wenigen Tagen dennoch bereits erspielt. Ohne seinen Vater. Der ist bei der WM der Senioren in Österreich. Ganz im Schatten seines Sohnes.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.