Ohne Cerrado stirbt der Amazonas
Neue Studie zeigt, dass Regenwald empfindlicher auf Kahlschlag reagiert als bisher angenommen
Die Abholzungsrate im brasilianischen Amazonasgebiet hat im vergangenen Jahr wieder drastisch zugenommen. Nach Angaben des Forschungsinstituts IMAZON in Belém hat Amazonien vom Juli 2012 bis zum Juli dieses Jahres 2007 Quadratkilometer Wald verloren, eine Steigerung von fast 100 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, als »nur« 1047 Quadratkilometer den Holzfällern und Brandrodungen zum Opfer fielen. Die größten Waldverluste gab es in den Amazonasstaaten Pará, Amazonas Mato Grosso und Rondônia. Ein jüngst in den »Geophysical Research Letters« veröffentlichter Bericht brasilianischer Forscher warnt nun davor, dass das größte Regenwaldgebiet der Erde doch empfindlicher auf Kahlschläge reagiere als bisher angenommen.
Frühere Modelle gingen davon aus, dass der Amazonas-Regenwald noch um 40 bis 50 Prozent schrumpfen könnte, ehe es zu regionalen Klimaveränderungen kommt und der restliche Regenwald wie in einer Kettenreaktion durch Cerrado, die brasilianische Savannenvegetation ersetzt würde. Ferreira Pires und Marcos Heil Costa von der staatlichen Universität von Viçosa (UFV) sahen nun genauer hin. Zwar könnten im zentralen Amazonasgebiet selbst große Rodungen nicht die lokalen Niederschläge verändern, doch in den Randzonen Amazoniens, wo die Feuchtwälder in die Savannenlandschaft des Cerrado übergehen - wie in Mato Grosso oder Pará -, reagierten die Wälder weit empfindlicher. Schon zehn Prozent weniger Regenwald könnten dort den Wasserhaushalt aus dem Gleichgewicht bringen und die Kettenreaktion in Gang setzen: weniger Regenwald, weniger Niederschlag, weiterer Regenwaldverlust. Mitverursacht werde dies durch die gleichzeitige Abholzung der benachbarten Cerrado-Gebiete, die bei früheren Studien nicht berücksichtigt wurde.
In Zentralbrasilien, wo der Cerrado bereits zu mehr als 50 Prozent vernichtet und in Agrarsteppen umgewandelt wurde, registrierten die beiden Forscher eine signifikante Verlängerung der Trockenzeiten von fünf auf sechs Monate. Die beiden Forscher empfehlen, wenigstens 90 Prozent des bestehenden Amazonas-Regenwaldes und 40 Prozent des Cerrado zu erhalten, um die »Versteppung« Amazoniens durch regionale Klimaänderung zu vermeiden. Bereits im Juli 2010 schrieben Ferreira Pires und Heil Costa, dass der Schutz des Cerrado für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes unverzichtbar sei.
Die reale Landwirtschafts- und Umweltschutzpolitik Brasiliens steht zu diesen wissenschaftlichen Empfehlungen allerdings im krassen Gegensatz: Die Cerrado-Gebiete sind für die Ausweitung des Sojaanbaus faktisch freigegeben. Aktuell sind neben Mato Grosso auch die Amazonas-Frontstaaten Tocantins und Maranhão davon betroffen.
Nur 8,21 Prozent des brasilianischen Cerrado stehen als Nationalpark oder Natur- und Sammlerreservat unter staatlichem Schutz. Im brasilianischen Amazonasgebiet wiederum sind bislang auf dem Papier rund 40 Prozent der Flächen als Naturschutzgebiet oder Territorium der Indigenen staatlich geschützt. Doch seit einigen Jahren registriert die Umweltbehörde IBAMA auch illegale Abholzungen und Brandrodungen selbst in den staatlichen Schutzgebieten.
Noch intakte Savannenlandschaft des Cerrado im Bundesstaat Mato Grosso Foto: imago/Wothe
Lexikon Cerrado
Cerrado (auch Campos cerrados) nennt man eine Savannenlandschaft, die in Zentral-Brasilien auf einer Fläche von zwei Millionen Quadratkilometern an den Regenwald angrenzt. In diesem Gebiet fällt ein Großteil der jährlichen Niederschlagsmenge zwischen Oktober und April (Sommer). Im Winter herrscht Dürre. Etwa die Hälfte der hier vorkommenden 10 000 Gefäßpflanzenarten ist nur hier heimisch. Auch einige der Tierarten - Mähnenwolf und Weißbüschelaffe - sind praktisch nur hier zu finden.
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