Auftrieb für den Albtraum
Trotz »Costa Concordia«: Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff wird immer populärer
Das »Costa-Concordia«-Unglück kostete 32 Menschen das Leben. Doch schaden konnte der Albtraum der Kreuzfahrtindustrie nicht. Im Gegenteil: Auf der europäischen Leitmesse für »den Urlaub auf dem Wasser«, die am Donnerstag zu Ende ging, herrschte unter dem Fachpublikum eitel Sonnenschein. Gut 250 Aussteller aus 50 Ländern - darunter viele aus der Karibik, dem beliebtesten Reiseziel - machten die »Seatrade Europe« aus Veranstaltersicht zum vollen Erfolg. In den Messehallen drehte sich fast alles um Luxusprobleme.
»Die Vorzeichen könnten kaum besser sein«, freut sich Messe-Chef Bernd Aufderheide. »Urlaub auf dem Wasser ist das am schnellsten wachsende Reisesegment.« Die Zahlen geben dem an einen Seebären mit Schlips und Kragen erinnernden Mittfünfziger Recht: In nur einer Dekade hat sich der Umsatz in Europa mehr als verdoppelt. 2013 legte die maritime Reisewirtschaft trotz der Krise in einigen traditionellen Kreuzfahrer-Hochburgen um zehn Prozent zu. Allein 1,5 Millionen Bundesbürger kreuzten 2012 auf hoher See - in den 1990ern waren es gerade mal ein paar Zehntausend.
Kreuzfahrtschiffe galten lange als Rentnerparadies mit Kapitänsdinner, heute locken sie junge Familien und Partygänger. Der vor Warnemünde und Kiel führende deutsche Urlauberhafen, Hamburg, meldet für das erste Halbjahr ein Plus von 24 Prozent. Dutzende Hafenstädte buhlten auf der Messe um die Gunst der Tourismuskonzerne. Auch für den Rostocker Michael Ungerer schreibt die Branche eine »Erfolgsgeschichte«. Doch das ist ihm nicht genug. Der Aida-Boss will den »schlafenden Riesen« wecken. In Deutschland - neben Großbritannien die Nummer eins in Europa - fahren jährlich »nur« 1,7 Prozent der Bürger zur See, in den USA sind es 3,35 Prozent. Und selbst hier sieht die Branche noch Auftriebskräfte.
Bis 2016 werden allein 20 neue Traumschiffe für den europäischen Markt vor allem in Europa vom Stapel laufen. Reeder investieren dafür über zehn Milliarden Euro - vor allem in den Event-Luxus an Bord. Bingoabende gibt es zwar immer noch, aber auf der Messe werden von der Meyer Werft auch Wasserrutschen mit freiem Fall oder »Die Planke« angepriesen: eine Plattform für Kletterer, die über die Bordwand ragt - 50 Meter über dem Meer. Eine wachsende Zielgruppe sind Mädchen: Die US-Reederei Royal Caribbean will 22 Schiffe mit der wohl bekanntesten Puppe bestücken: »Barbie«-Kabinen, »Barbie«-Tanzkurse, »Barbie«-TV. Speziell an Deutsche richtet sich MSC aus Genf mit einem Rund-um-die-Uhr-Buffet und 30 Biersorten. Wem das zu deftig ist, für den bietet TUI bald eine »Himmel & Meer«-Suite mit fast 70 Quadratmeter Wohnfläche und einem Fenster von drei Meter Höhe für Schwindelfreie.
Der Trend geht hin zur schwimmenden 5000-Einwohner-Stadt mit mehr oder weniger schrillen Unterhaltungsangeboten Tag und Nacht, technisch beeindruckender Tiefkühlfertigkost und eigenem Operationssaal. Tagespreis ca. 100 Euro. Auf der anderen Seite lassen elitäre Spezialanbieter Topmanager vor 500 Passagieren sprechen, die 1000 Dollar pro Tag zahlen, und Bildungserlebnisse an Bord oder Opernabende unter dem Mittelmeerhimmel genießen wollen.
Aida-Chef Ungerer sieht das »eigentliche Ziel« seiner Branche darin, »Träume zu verkaufen«. Doch damit die Träume nicht zu Albträumen werden, muss in Sicherheit investiert werden. Auch dies war ein (ungeliebtes) Thema auf der Fachmesse. Viele Kreuzfahrer fahren unter Billigflaggen wie Panama oder Bahamas. Diese erlassen Ausnahmegenehmigungen: So dürfen Schotten offen bleiben - was praktisch ist -, obwohl seit dem Untergang der »Titanic« eigentlich alle wasserdichten Türen geschlossen sein müssten. Und selbst wenn etwas schief geht, geht es weiter: Die Bergung der »Costa Concordia«, schwadroniert Ungerer, zeige, »dass wir alles erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten«.
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