... und langsam kommen auch die Enkel wieder
Mit EU-Geldern und Eigeninitiative werden in der Mitte Portugals verlassene Dörfer wiederbelebt
Kein Stress, keine Hektik, keine Parkplatzprobleme. Von der neu errichteten Aussichtsplattform lässt sich ganz Gondramaz überschauen. Das portugiesische Dorf, 15 Kilometer vom Provinzstädtchen Lousa entfernt, ist jedoch schnell übersehen. Fast war es ausgestorben, nun halten sechs Einwohner die Stellung. Irgendwo schlägt ein Hammer auf Holz. Beim Weg hinunter an der Kapelle vorbei, sortiert ein Handwerker Schiefersteine für einen Mauerbau. Gondramaz ist eines von insgesamt 23 Schieferdörfern in der Mitte Portugals zwischen Coimbra und Castello Branco, die keiner mehr wollte. Ziegen hüten, Rüben pflanzen, in rußverdreckten Buden hausen und im Winter zwischen nasskalten Schieferwänden frieren, war nicht mehr Sache der Kinder. Und oft schon zog es die Eltern bereits nach Lissabon oder Porto zum Geld verdienen. Nur die Großeltern blieben und warteten auf den Tod.
So wäre es auch weiter gegangen mit den Dörfern, wenn nicht im Jahre 2000 die Provinzregierung zusammen mit dem 53-jährigen Armando de Carvalho aus Lousa die Rettung von Portugals Schieferdörfern eingeleitet hätte. Anfangs schien der Plan verrückt und überflüssig. »Warum retten, was ohnehin keinen Wert hat«, hielten die modernen Skeptiker Carvalho entgegen. Doch der Querkopf mit den grau melierten Locken liebt seine Heimat mit den stillen Dörfern rund um das Lousa-Gebirge. »Manche Siedlungen liegen 1000 Meter hoch. Da kann es im April noch schneien«, weiß Carvalho. »Aber im Sommer ist es angenehm frisch, die Luft so klar und der Blick so weit ins Tal hinein.« Doch dem Mitbegründer von »Aldeias do Xisto«, so der Name der Schieferdörfer, war auch klar, dass sich kein heutiger Mensch für das harte und karge Bergleben der Vorfahren begeistern wird. Gleichzeitig wollte er keine Museumsdörfer ins Leben rufen, in denen Besucher wie in einem Themenpark Geschichte besichtigen können. So kam ihm die Idee, dass die Dörfler Gästezimmer einrichten, Honig, Käse, Marmeladen, Lavendel, Brot, Kastanien und Wurst verkaufen und in Restaurants Gerichte aus der Gegend servieren. Das hat einige überzeugt. Mehr noch, dass ein Füllhorn aus Brüssel bislang elf Millionen Euro für den Wiederaufbau und die Wiederbelebung der Schieferdörfer bereitstellte. Allein nach Gondramaz floss eine halbe Million. Besser gesagt in die Außenwände. Wer innen renoviert, bekommt eine Schieferfassade. Einige Dörfer erhielten so auch zum ersten Mal Strom, mit Schiefer gepflasterte Wege und Telefon.
So auch in Cerdeira. Hier kommt kein Auto hin. Schon der Weg zur Kapelle außerhalb des Dorfes ist besser mit einem Geländewagen zu befahren. Ein schöner neuer Pfad führt von der Kapelle zum Ort. Kerstin Thomas aus Bamberg hat sich dort niedergelassen. Vor 25 Jahren kam sie als Romanistikstudentin an die Universität Coimbra, irgendwann blieb sie der Liebe wegen hängen, nun schnitzt sie Puppen und andere Holzkunst in dem Bergdorf. »Es ist ein Leben dicht an der Natur. Nicht immer einfach, aber unkompliziert«, fasst Thomas zusammen. Von ihrer geöffneten Werkstatttüre kann sie sehen, wie ihr Sohn gerade von der Schule kommt. »Ich oder mein Nachbar bringen ihn dorthin, runter ins Tal. Jeden Tag. Doch das ist es mir wert.« Später fügt sie noch hinzu, dass auch ihr Sohn mit diesem abgelegenen Leben zufrieden sei. Fast beiläufig beim Verabschieden erwähnt die studierte Holzschnitzerin, dass sie ein Schieferhaus für Gäste eingerichtet hat. Mit Küche, Wohnraum, Schlafzimmer und Bad für ganze 35 Euro am Tag.
Das jedoch ist bezeichnend für eine Gegend, die lange an sich selbst nicht mehr glaubte und heute zu den ganz wenigen Regionen in Europa gehört, die vom großen Tourismus unentdeckt geblieben sind. Für viele Einheimische sind Fremde Menschen, die Neues mitbringen. Quartiergeber kümmern sich um Reisende. Sprechen mit ihnen, wollen wissen, wie es woanders ist. Für Wanderer ist die bergige Landschaft mit ihren darin versteckten Minidörfern reizvoll, für Menschen mit kleinem Geldbeutel lockt die Anständigkeit der Preise, doch das Geheimnis der portugiesischen Schieferdörfer liegt in der Unberührtheit und Zutraulichkeit der Weiler und ihrer Einwohner.
Das ist bei Isabel Almeida ganz ähnlich. Unbekümmert fragt sie Gäste, ob sie ein ständiges Restaurant einrichten soll. Eine Küche ist vorhanden, doch noch holt sie eine Köchin aus dem Nachbardorf, wenn Gäste bekocht werden wollen. Aber dann steht ein doppelbettgroßer Esstisch voll mit Kostbarkeiten. Lamm, Würste, Bacalao-Fisch und ein Eierschaum als Nachspeise, dem kein Diätjünger widerstehen kann. Einige hielten die 42-Jährige für verschroben, als sie 1998 entschied, ihr schnuckeliges Anwesen Vilar dos Condes im grünen Nirgendwo bei Madeira in der Nähe des Ortes Oleiros zu kaufen. Sie kaufte eine Ruine. Ein Steinhaufen, der früher einmal ein Landgut war. Heute ist es eine Preziose aus Schiefersteinen. »Mein Großvater kommt aus der Gegend zehn Kilometer südlich des Zezere-Flusses, und ich fuhr mit dem Motorrad über die kurvigen Landstraßen«, erinnert sich die lebendige Frau mit dem vollen Haarschopf. »Ich fühlte, dass das verfallene Gut meine Lebensaufgabe ist und fing an zu planen. Das ehemalige Weinlagerhaus ist nun ein Gastraum, Wohngebäude sind umgebaut zu Ferienwohnungen. Jede Einheit hat eigene Farbtupfer. Es gibt die roten Rosen, mit roten Couchbezügen und roten Handtüchern oder die blaue Variante mit Lavendel, blauem Kühlschrank und Gardinen in Azur. Alles hat sie selbst organisiert und arrangiert. Einige Möbel stammen von ihrem Großvater, viele vom Sperrmüll aus Lissabon. «Dort werfen Menschen kleine Vermögen weg», schmunzelt die findige Sammlerin. Ihr Anwesen schmückt der liebevoll aufgemöbelte Sperrmüll heute wie ein Musterbeispiel aus einer Landleben-Illustrierten.
Ein Speiselokal hat die 86-jährige Maria Tilena in ihrem Alter nicht mehr eröffnet. Weil sie aber die Dorfälteste von Talasnal ist, hat ihre Nichte ihr Restaurant zu Ehren von Maria «Ti Lena» genannt. Zwei junge Männer renovieren im Keller. Ohne den neuen Lebensatem der Schieferdörfer hätten sie hier keine Arbeit. Oben in der Wirtsstube flackert ein Kamin. Im Feuer hängt eine Suppenschüssel. Auf den Tisch kommen gebratene Herzstücke in Knoblauch, Blutwürste, Lammfilets, Salat und Ziegenkäse. Zum Abschluss kommt noch der Medronho auf den Tisch. Das ist ein Schnaps aus den Früchten des Erdbeerbaumes. Von der kleinen Schieferterrasse gibt es einen Ausblick über grüne Berge hinab ins Lousa-Tal. Die alte Tilena mit ihren vielen Lebensfalten hat dennoch einen milden Gesichtsausdruck. Sie kann sich noch gut an den Wegzug ihrer Verwandten erinnern. Sie ist geblieben. Nun kommen die Enkel wieder, hoffen auf ein paar Gäste und bringen neues Leben in die alten Schieferdörfer.
● Infos: Turismo de Portugal - aicep Portugal Global, www.visitportugal.com, E-Mail: info@visitportugal.com, Tel.: (030) 254 10 60
● Für die 23 Schieferdörfer gibt es eine Marketingzentrale in Barroca. Dort können Unterkünfte gebucht werden und Informationen angefordert werden: Centro Dinamizador das Aldeias do Xisto, Casa Grande Barroca, 6230-137 Fundao, E-Mail: info@aldeiasdoxisto.pt, www.aldeiasdoxisto.pt
● Wohnen im Haus von Kerstin Thomas in Cerdeira für 35 €, Tel.: (+351) 239 99 46 21, E-Mail: atelierdacerdeira@yohoo.com
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