In der Ferne für die Heimat spielen
Weil der Spitzensport stagniert, öffnet Kuba seinen Athleten den Weg in ausländische Profiligen
Es ist eine historische Entscheidung: Kubas Sportler sollen künftig Profiverträge in ausländischen Ligen unterschreiben können. Diese und andere Regelungen sind Teil einer Reihe von Reformen im kubanischen Sport, die vom Ministerrat Mitte September beschlossen und von der Parteizeitung »Granma« Ende vergangener Woche publik gemacht wurden. Mit dem Maßnahmenpaket sollen neue Einnahmequellen erschlossen und dem zuletzt darbenden Spitzensport neue Impulse verliehen werden. Inwieweit dies kubanischen Sportlern ermöglicht, Verträge in den USA zu unterzeichnen, ist wegen des weiterhin bestehenden Handelsembargos allerdings unklar. In jedem Fall ist es eine Zäsur, denn der Profisport war in Kuba 1962 abgeschafft worden.
Auch dürfte die Neuregelung darauf ausgerichtet sein, den »Desertationen« erfolgreicher Spitzensportler ins Ausland etwas entgegen zu setzen. Für Wilfredo Leon Venero kommt das Umdenken in Havanna zwar zu spät, bedeutet aber gleichzeitig auch Hoffnung. Weil er im Ausland spielen wollte, hat Kubas Volleyballverband sein größtes Talent für vier Jahre gesperrt. Nun sitzt der 20-Jährige in Polen und hofft durch die angekündigten Reformen bald wieder spielberechtigt zu sein. Ihm soll ein Angebot von Asseco Resovia Rzeszow vorliegen.
Neben Spitzensportlern dürfen auch Trainer und andere Sportspezialisten fortan im Ausland arbeiten. Laut »Granma« sollen Sportler in Zukunft 80 Prozent ihrer Preisgelder behalten dürfen; 15 Prozent gehen an die Trainer und weitere fünf an die Ausbilder. Bisher hatte der Staat mehr als vier Fünftel der Gelder eingesteckt. Im Gegenzug sind die Spitzenathleten verpflichtet, für die einheimischen Ligen und die Nationalmannschaft zur Verfügung zu stehen. Auch müssen sie ihre Einnahmen auf der Insel versteuern.
Einzelheiten oder welche Sportarten unter die Neuregelung fallen, wurden allerdings nicht genannt. Unklar ist auch, ob den Athleten erlaubt wird, direkt mit ausländischen Klubs zu verhandeln oder ob der Staat als Mittler auftritt. Die Reform sieht zudem Gehaltserhöhungen bei Athleten und Trainern in den nationalen Ligen vor. Sie tritt zum 1. Januar 2014 inkraft, für Baseballspieler bereits mit Beginn der nationalen Meisterschaft im November.
Vor allem die ökonomische Situation hat seit 1989 zu einem gewaltigen Aderlass für den kubanischen Sport geführt. Wie die Wirtschaft mit der Abwanderung gut ausgebildeter Ar-beitskräfte aus ärmeren Ländern in die globalen Zentren, hat auch der weltweite Sport mit diesem Phänomen zu kämpfen. Kuba ist damit keineswegs allein, wegen seines hervorragenden Förderungssystems, aber besonders betroffen. Viele Spitzensportler - Boxer, Leichtathleten, Volleyballer und Baseballspieler - haben sich in den vergangenen Jahren ins Ausland abgesetzt und verdienen zum Teil Millionengehälter. Hinzu kommt ein nicht zu übersehener sportlicher Qualitätsverlust für die heimischen Ligen, da viele der Besten das Land verlassen haben. All dies hat tiefe Wunden in der kubanischen Gesellschaft und im kubanischen Sport hinterlassen.
Schon länger wurde daher über eine Öffnung diskutiert. Im Juli war drei kubanischen Spitzenspielern im Baseball - Alfredo Despaigne, Yordanis Samon und Michel Enríquez - als eine Art Testballon erlaubt worden, bei einem Team der mexikanischen Profiliga, Verträge zu unterschreiben. Zuvor war dies nur Spielern gestattet worden, die ihre Karriere bereits beendet hatten. Vom Wettbewerb in ausländischen Ligen erhofft sich der kubanische Sportverband mehr Wettbewerbsfähigkeit. Denn zuletzt gingen die Erfolge zurück, auch weil in wirtschaftlich schwierigen Zeiten das Geld für die Förderung des Spitzensports fehlt. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London hatte Kuba nur noch 14 Medaillen gewonnen, davon fünf goldene. Zum Vergleich: In Barcelona 1992 waren es 31 gewesen, darunter 14 goldene. Selbst Kubas Baseballteam, das früher Siegespokale bei Olympia und Weltmeisterschaften in Serie sammelte, hat seit Jahren kein großes Turnier mehr gewonnen.
Die Öffnung des kubanischen Spitzensports ist eine der wirtschaftlich radikalsten Maßnahmen der letzten Jahre. Laut »Granma« werden weitere Reformen folgen: »Dies ist erst der Anfang.«. Unklar ist, wie sich die Regelung auf jene Spieler auswirkt, die bereits in den USA aktiv sind oder es werden wollen. Das trifft besonders die Baseballspieler. Die US-Profiliga MLB wollte zu Auswirkungen der Reform nichts sagen, verwies in einer Stellungnahme aber darauf, »auch weiterhin in Übereinstimmung mit den Gesetzen und der Politik der Regierung der Vereinigten Staaten zu handeln.«
Erst im August machte die MLB Druck, Kuba von der jährlich ausgetragenen Karibikmeisterschaft für Vereinsmannschaften wieder auszuladen, an der Klubs der Insel erstmals seit 53 Jahren wieder teilnehmen sollten. Das Helms-Burton-Gesetz, eine 1996 beschlossene Verschärfung der Blockadepolitik, untersagt US-Unternehmen, also auch der MLB, jedwede kommerziellen Verbindungen mit Kuba. Kubanisch-stämmige Profis werden denn auch von der Liga gezwungen, jedwede Verbindung nach Kuba abzubrechen - eine Regelung, die einzig für kubanische Sportler gilt. So will es die Exportkontrollbehörde des US-Finanzministeriums - Teile der Gehaltszahlungen könnten ja nach Kuba überwiesen werden. Ausgerechnet die seit Jahrzehnten andauernde Blockade Kubas durch die USA, ein Relikt aus Zeiten des Kalten Krieges, erweist sich damit weiterhin als das größte Handicap.
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