Kurs auf die Große Koalition?

Programm und Wirklichkeit - oder: Wie die SPD sich von der Union abheben könnte

  • Roland Bunzenthal
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dem ersten Sondierungsgespräch zwischen Union und SPD signalisieren die Sozialdemokraten Kompromissbereitschaft. Sie loben die zu gute Atmosphäre der Gespräche und nähern sich einer möglichen Großen Koalition. Was ist wie verhandelbar, wie nahe sind sich SPD und CDU?

Das »Regierungsprogramm« der SPD umfasst 117 Seiten und rund 100 Stichworte. Eine Umfrage in der Bevölkerung über die allgemein bekannten Programmpunkte der Sozialdemokraten würde sich dennoch sicher auf nur drei bis vier Themen reduzieren: Steuererhöhung, Bürgerversicherung, Mindestlohn vielleicht auch noch die Erinnerung an die alten rot-grünen »Sünden« Rente mit 67 und Hartz IV.

Gemeinsam ist diesen »Schaufensterdekors der Politik«, dass dabei weniger die Ziele als die Instrumente im Vordergrund stehen. Dabei ist bei den politischen Zielen der gemeinsame Nenner beider Parteien eher größer als bei den Instrumenten und Mitteln. Zwar spricht nur die Union sogenannte Leistungsträger an, die geschont und motiviert werden sollen. Aber bei Themen wie Grundsicherung und Vermeidung von Altersarmut, bei den dringend notwendigen Investitionen in die soziale, mobile und ökologische Infrastruktur oder beim Ziel, die Arbeitslosigkeit zu mindern, ist die Gemeinsamkeit der beiden Volksparteien eher größer als sie zwischen Union und FDP gewesen wäre.

Die Reduktion des öffentlichen Diskurses auf wenige Instrumente wird besonders in der Sozialpolitik deutlich. So versucht die SPD die »Zweiklassenmedizin« mittels Bürgerversicherung zu nivellieren. Doch der Zweck heiligt kaum die Mittel eines Totalumbaus unseres Krankenversicherungssystems. Selbst unter den SPD-Mitgliedern ist die Einheitsversicherung umstritten. Wesentlich einfacher wäre eine Änderung der Gebührenordnung für Ärzte, die ebenso einen einheitlichen Behandlungsstandard ermöglichen würde.

Die Union verteidigt auf nur 78 programmatischen Seiten überwiegend den Status quo. Nicht nur bei den Steuern, sondern auch bei den Sozialbeiträgen sieht die Doppelpartei die Belastung der Unternehmen als rotes Tuch, das man gerne schwarz einfärben möchte. So wollen die Christdemokraten sich erneut Meriten bei der Deckelung der Lohnzusatzkosten verdienen. Sie stecken damit aber im Finanzierungsdilemma, wenn es darum geht, die Sozialversicherung krisenfest zu machen. Als Ausweg bieten sie die Verlagerung der Kosten vom Steuer- auf den Beitragszahler an. So muss zum Beispiel die Rentenversicherung rund sieben Milliarden mehr ausgeben, wenn die Mütterrente realisiert werden sollte.

Ein taktischer Fehler der SPD ist es, künftige gesellschaftliche Aufgaben hinsichtlich ihrer Finanzierung nicht deutlich genug herausgestellt zu haben. Das erschwert nun die Konsensbildung. Einig sind sich beide Parteien, dass die künftigen Demografielasten auf möglichst breite Schultern verteilt werden müssten. Doch tatsächlich werden die heutigen Kinder der Trümmer- und Nach-Trümmer-Frauen als Beitragszahler künftig weniger reale Rente beziehen als ihre Mütter. Deshalb ist die SPD bereit, die einst von Rot-Grün eingeführte Rente mit 67 vorerst auf Eis zu legen, während die Union daran festhalten will.

Alle drei Parteien wollen jedoch langjährig schlecht verdienende Arbeitnehmer mit einer Art Ausdauerbonus beglücken. Damit sollen sie knapp über dem Existenzminimum ins tiefer gelegte soziale Netz fallen. Zusätzlich beabsichtigt die SPD jedoch mit der Bürgerversicherung auch die Finanzierung der Krankenversicherung auf breiterer Basis zu stabilisieren. Dies ließe sich einfacher bewerkstelligen, nämlich durch die Wiederherstellung der vollen Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Parität bei der Beitragsfinanzierung oder indem man die Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung anhebt. Zwar treffen auch diese Schritte auf den Widerstand der Union, doch wäre ein Konsens sicher leichter zu erreichen.

Insgesamt steht die SPD beim Thema Bürgerversicherung argumentativ auf verlorenem Posten. Es gelingt ihr bisher nicht, dem Bürger zu vermitteln, was er durch den Tausch der Kassenwahlfreiheit gegen die »Ein-Klassen-Medizin« an therapeutischen Nutzen gewinnt. Dagegen kann die SPD Punkte machen, wenn sie darauf besteht, die Einführung der Rente mit 67 zu vertagen, so nicht mindestens die Hälfte dieser älteren Jahrgänge tatsächlich in Lohn und Brot steht.

Aber auch in der Arbeitsmarktpolitik kann sich die SPD stärker profilieren, indem sie aktiv gegen die zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit angeht oder die Probleme von Hartz-IV-Empfängern zielgerichtet anpackt. Hier müsste eine Erhöhung der Regelsätze zum Gesamtprogramm der Sozialdemokraten gehören.

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