Willy-Brandt-Kreis gegen Große Koalition

Brief an SPD-Spitze: »pragmatisch linke Wege suchen« / Grüne-Politiker für rot-rot-grüne Sondierungen - halten Linkspartei aber für »nicht regierungsfähig«

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Kurz vor der für den Montag geplanten zweiten Sondierungsrunde zwischen Union und SPD drängt der Willy-Brandt-Kreis die Parteispitze der Sozialdemokraten zu einem Verzicht auf eine mögliche Regierungsbeteiligung mit CDU und CSU. Die SPD solle sich stattdessen rot-rot-grünen Optionen öffnen.

Die Initiative, die von Friedrich Schorlemmer geführt wird und an der auch Daniela Dahn beteiligt ist, fordert in einem Brief an SPD-Chef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank Walter Steinmeier »in Sorge um die Sozialdemokratie« eine klare Absage an die Union. Stattdessen sollten sich die Sozialdemokraten »aus der Klammer der von der CDU/CSU betriebenen Tabuisierung anderer Koalitionen« lösen und »zugleich den Druck auf die Linke« erhöhen, »Positionen in der Europa- und Außenpolitik zu überdenken und Ihrerseits nicht nur auf dem Feld der Sozialpolitik sich als verlässlich und koalitionsfähig zu erweisen«.

In dem Offenen Brief des Willy-Brandt-Kreises, über den zuerst die »Leipziger Volkszeitung« berichtet hatte, heißt es weiter, »wenn der Linken in den nächsten Jahren die Rolle der zahlenmäßig stärksten Opposition zufällt, wird dies zu Lasten einer mitregierenden SPD die strategische Option einer rot-rot-grünen Kooperation verbauen.« Stattdessen würden »Differenzen wieder künstlich ideologisch aufgeladen, statt pragmatisch linke Wege im Interesse des Gemeinwohls zu suchen«.

Mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit einer Großen Koalition heißt es in dem Schreiben, »einen fahrenden Zug kann man stoppen«. Es gebe keinen zwingenden Grund für eine große Koalition. »Sie ist weder unausweichlich noch staatspolitisch notwendig. Im Gegenteil«, heißt es weiter.

Stattdessen appelliert der Willy-Brandt-Kreis an die SPD, sich klar als stärkste Oppositionspartei im Bundestag zu bekennen und »gefährdete Bürgerrechte« angesichts überbordender staatlicher Sicherheitsapparate zu verteidigen. Eine Große Koalition würde die Balance und Kontrollfunktion des Parlaments gefährden, heißt es weiter. »Es wird, wie die vergangene Legislaturperiode gezeigt hat, aus machtpolitischer Räson mehr und mehr zu einem Vollzugsorgan des Kanzleramtes verkommen und alles, was unter tatkräftiger Mitwirkung der SPD gelingt, der Kanzlerin wiederum zugeschrieben.« Nur mit einer starken SPD außerhalb der Merkel-Regierung könne auch der Bundesrat seiner Verantwortung als Korrektiv zwischen Bundes- und Länderinteressen nachkommen und der »Versuchung des Durchregierens« widerstehen.

Derweil hofft die stellvertretende Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, Sylvia Löhrmann, trotz der Gespräche mit der Union auch auf rot-rot-grüne Sondierungen in Berlin. »Die SPD muss sich fragen, ob sie nicht doch noch ein Gespräch mit Grünen und Linken führt«, sagte die Grünen-Politikerin der Tageszeitung »Die Welt«.

Sie erinnerte daran, dass SPD und Grüne nach der Landtagswahl 2010 in Nordrhein-Westfalen ebenfalls mit den Linken gesprochen hätten - »auch um sie zu fordern«. Linksfraktionschef Gregor Gysi tue »immer so, als gelänge es mal eben, eine linke Mehrheit zu zimmern, ohne ernsthaft Farbe zu bekennen«, so Löhrm,ann weiter. »Dann wird deutlich, ob die Linke bereit ist, Gesamtverantwortung zu übernehmen. Ich finde es richtig, dass die Parteien in Hessen derzeit alles ausloten.«

Löhrmann nimmt für die Grünen an den schwarz-grünen Sondierungsgesprächen in Berlin teil. Das erste Treffen mit der Union bewertete sie kritisch: »Da zeichnet sich noch keine hinreichende Übereinstimmung ab.« Auch im Nachrichtenmagazin »Focus« plädierte sie dafür, sich mehrere Optionen offenzuhalten. »Es war ein Fehler, sich im Wahlkampf so stark auf die Machtoption mit der SPD auszurichten«, sagte Löhrmann.

Die neue Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, ist grundsätzlich zu Gesprächen über eine rot-rot-grüne Bundesregierung bereit. »Wenn der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel uns und die Linkspartei zu Sondierungsgesprächen über eine Regierungsbildung einladen sollte, würden wir auch da hingehen«, sagte Göring-Eckardt der »Bild am Sonntag«. Gleichzeitig räumt sie einem Bündnis mit der Linken aber wenig Erfolgschancen ein: Mit der »SED-Nachfolgepartei« sehe sie wegen deren Außen- und Europapolitik »keine Regierungsfähigkeit«.

Göring-Eckardts Ko-Fraktionschef Anton Hofreiter will ebenfalls seine Partei für Bündnisse mit der Linkspartei öffnen. »Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass es für die Demokratie schlecht ist, wenn es vor der Wahl nur noch darum geht: Regiert die Union hinterher mit der FDP, der SPD oder mit den Grünen«, sagte Hofreiter der »Welt am Sonntag«. Deshalb müsse die Gesprächsoption für Rot-Rot-Grün in der Zukunft prinzipiell möglich sein. Auch Hofreiter hält die Linke aber gegenwärtig nicht für regierungsfähig. Agenturen/nd

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