Du sollst für Vater und Mutter zahlen ...
Anmerkungen zum Grundsatzurteil des BGH über den Elternunterhalt
Du sollst für Vater und Mutter zahlen, wenn deren eigenes Einkommen sowie Vermögen zusammen nicht ausreichen, den eigenen Bedarf zu decken. Inwieweit ist das zutreffend? Auf diese und weitere Fragen geht die Fachanwältin für Familienrecht Ariane Freifrau von Seherr-Thoß aus Düsseldorf näher ein.
Dankbarkeitshaftung als rechtsethische Grundlage?
Vorweg: Mit dem Grundsatzurteil zum Elternunterhalt hat der Familiensenat des BGH entschieden, dass das selbst genutzte Eigenheim bei der Ermittlung der Leistungsfähigkeit der erwachsenen Kinder unberücksichtigt zu bleiben hat.
Diese Mitteilung sorgte für sichtbares Aufatmen bei vielen erwachsenen Kindern, die bis dahin fürchten mussten, ihre Immobilie für die ungedeckten Kosten ihrer im Heim lebenden Eltern veräußern zu müssen. Ein konsequentes Urteil im Hinblick darauf, dass der Staat bei der Alterssicherung immer mehr auf Eigenvorsorge setzt.
Dennoch wird auch heute noch vielfach über eine sogenannte Dankbarkeitshaftung als rechtsethische Grundlage für die Heranziehung zu Elternunterhalt diskutiert, die jedoch deshalb scheitert, weil der Elternunterhalt nicht aus einer willentlichen Entscheidung des Kindes resultiert, sondern allein aus dem Umstand seiner Geburt.
Da der Staat nicht auf Verantwortlichkeit oder Dankbarkeit der Kinder setzen kann, zudem eine gelebte solidarische Familienstruktur wie früher in ländlichen Gebieten nicht mehr existiert, ist das erwachsene Kind von Gesetzes wegen verpflichtet - Bedürftigkeit des Elternteils sowie Leistungsfähigkeit des Kindes vorausgesetzt -, für Elternunterhalt aufzukommen.
Was gehört zum Gesamtvermögen der Eltern?
Bevor es allerdings soweit ist, sind die Eltern zunächst selbst verpflichtet, ihr gesamtes Einkommen (dazu zählen auch Renten und Pensionen sowie Leistungen aus der Pflegekasse) sowie ihr Vermögen zur Finanzierung des eigenen Lebensbedarfs einzusetzen.
Auch geldwerte Forderungen, etwa Schadenersatzansprüche oder Forderungen gegen Versicherungen müssen geltend gemacht werden, um den eigenen Unterhaltsbedarf zu decken. Zu den geldwerten Forderungen gehören auch solche aus der Rückforderung oder dem Widerruf einer Schenkung.
Oft wenden Eltern ihren Kindern mit Blick auf den Ruhestand und im Vorgriff auf den Erbfall Geld oder andere Vorteile zu. Sie unterstützen ihre Kinder beim Hausbau, übertragen Grundstücke oder überschreiben ihr Geschäft. Haben sich die Eltern an den übertragenen Gegenständen vermögenswerte Rechte vorbehalten (zum Beispiel Wohnrecht) oder Nießbrauchrechte, müssen die Eltern mit diesen ihren Bedarf decken, bevor ihre Kinder in Anspruch genommen werden.
Im Übrigen überprüfen Sozialämter genau, ob in den letzten Jahren vor Eintritt der Bedürftigkeit Schenkungen gemacht wurden, die man im Namen des Bedürftigen wieder zurückverlangen kann.
Wie ist das mit Rückforderung von Schenkungen?
Die Rückforderung von Schenkungen wegen Verarmung des Schenkers ist in der Praxis von großer Bedeutung. Ist jemand nicht mehr in der Lage, seinen notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten, kann er alle Geschenke, die er in den letzten zehn Jahren vor dem Zeitpunkt der Verarmung gemacht hat, zurückfordern. Sind seit der Schenkung zehn Jahre vergangen, ist eine Rückforderung allerdings ausgeschlossen.
Unter Umständen sind Grundsicherungsleistungen vom Unterhaltsbedarf abzuziehen. Auf sie haben Personen ab dem 65. Lebensjahr Anspruch sowie Volljährige, die dauerhaft erwerbsgemindert sind.
Dass Grundsicherungsleistungen den Unterhaltsbedarf des Empfängers mindern können, überrascht zunächst, denn auch diese kann der Sozialhilfeträger grundsätzlich von den unterhaltspflichtigen Angehörigen zurückfordern. Dies jedoch nur dann, wenn das jährliche Gesamteinkommen des Kindes über 100 000 Euro liegt. Bei mehreren Kindern gilt für jedes Kind die Grenze von 100 000 Euro gesondert. Der Unterhaltsberechtigte ist gehalten, vor Inanspruchnahme seines Kindes, die Voraussetzungen staatlicher Grundsicherungsleistungen zu prüfen.
Nur dann, wenn beides, das heißt eigenes Einkommen sowie Vermögen zusammen nicht ausreicht, um den eigenen Bedarf decken zu können, können Eltern von ihren Kindern Unterhalt verlangen.
Inwieweit und in welchem Umfang sind Kinder zu Elternunterhaltsleistungen verpflichtet?
Ob und inwieweit ein Kind zur Unterhaltsleistung verpflichtet ist, richtet sich zunächst nach seinem Einkommen. Mit Einkommen ist das sogenannte bereinigte unterhaltsrelevante Nettoeinkommen gemeint. Das bedeutet, dass neben einem monatlichen Selbstbehalt in Höhe von 1600 Euro zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts sonstige finanzielle Verpflichtungen des Unterhaltspflichtigen in Abzug zu bringen sind, da sie dem Elternunterhalt vorgehen.
Der über diesen Mindestselbstbehalt beim Elternunterhalt hinausgehende Betrag ist jeweils bis zu 50 Prozent einzusetzen. Bei einem monatlichen Nettoeinkommen von angenommen 2000 Euro und einem angenommenen Selbstbehalt bei Elternunterhalt von 1600 Euro ergibt sich somit bei diesem Beispiel ein überleitbarer Unterhaltsanspruch in Höhe von 50 Prozent von 400 Euro, also 200 Euro im Monat
Zu den abzugsfähigen Ausgaben, die das Einkommen des unterhaltsverpflichteten Kindes reduzieren, gehört auch eine zusätzliche Altersvorsorge. Die Gerichte billigen dem Unterhaltspflichtigen beim Elternunterhalt neben den Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung von 19,9 Prozent des Bruttoeinkommens einen weiteren Abzug von 5 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens zu.
Verdient beispielsweise ein Angestellter im Jahr 36 000 Euro brutto, können jährlich bis zu 1800 Euro an Rücklagen gebildet werden. Sollte er nach 25 Jahren Berufstätigkeit für Elternunterhaltszahlungen herangezogen werden, wären 45 000 Euro seines Vermögens anrechnungsfrei und nicht zu Unterhaltszwecken einzusetzen.
Einigkeit besteht auch darüber, dass Lebensversicherungen notwendige Vorsorgeaufwendungen für solche Personen sind, die der gesetzlichen Versicherungspflicht nicht unterliegen oder deren angemessene Altersversorgung nicht auf andere Weise (zum Beispiel bei Beamten) sichergestellt ist.
Auch sonstige Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners wie Unterhaltszahlungen für eigene Kinder, geschiedene Ehepartner, Schuldverpflichtungen (sofern nicht für Luxusgüter) etc. werden einkommensmindernd berücksichtigt.
Darüber hinaus ist, wie die aktuelle Entscheidung des BGH deutlich macht, der Wert einer angemessenen selbst genutzten Immobilie bei der Bemessung des Altersvermögens eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Unterhaltspflichtigen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
Auch ein sogenannter Notgroschen in Höhe von etwa 10 000 Euro verbleibt den zum Unterhalt Verpflichteten. Nur soweit das angesparte Vermögen darüber hinausreicht, muss es für Elternunterhalt aufgewendet werden.
Alle Berechnungshilfen und Beratungsforen sollten niemanden darüber täuschen, dass Elternunterhalt eine komplexe Spezialmaterie des Unterhaltsrechts ist. Es ist daher jedem zu raten, Hilfe von einem Fachanwalt im Fachbereich in Anspruch zu nehmen.
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